Wo war eigentlich Stalin?
Ihrem Ideal zufolge dienen die Olympischen Spiele der Völkerverständigung. Kriege und Konflikte sollten während des „Olympischen Friedens“ pausieren. Was das ZDF vom Olympischen Frieden hält, konnten Millionen Zuschauer während der Eröffnungsfeier der Spiele in Sotschi verfolgen. Nichts. Stattdessen „glänzten“ Anne Gellinek und Wolf-Dieter Poschmann mit mal mehr, mal weniger kaschierter Hetze gegen das Gastgeberland. Von Jens Berger
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Stellenweise wirkte die Eröffnungsfeier der XXII. Olympischen Winterspiele in Sotschi wie eine zweifelsohne gut gemachte Kopie der Eröffnungsfeier der letzten Sommerspiele in London. Sowohl die Briten als auch die Russen boten dem internationalen Publikum eine künstlerisch dargebotene Zeitreise durch die eigene Geschichte und Kultur. Naturgemäß betonten beide Gastgeber dabei ihre Schokoladenseite. Doch wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Oder sollte man lieber sagen „Was dem Herrn geziemt, geziemt noch lange nicht dem Knecht“? Dies scheinen zumindest die beiden ZDF-Kommentatoren Gellinek und Poschmann so zu sehen. Gellineks größte Sorge war es nämlich, dass die Russen bei ihrer kulturellen Rückblende „ihre dunkele Zeit“ (ZDF) ausgespart haben.
„Wo war Stalin?“ fragte sich Gellinek in der abendlichen Rückschau. Ja wo war Stalin? Wo waren die Opfer des „British Empire“ bei der Eröffnungsfeier in London 2012? Wo die beinahe ausgerotteten Indianer bei der Eröffnungsfeier in Salt Lake City 2002? Und wo waren die Millionen Opfer deutschen Größenwahns bei der Eröffnungsfeier in München 1972? Fragen über Fragen. Willkommen bei den „Putin-Spielen“ (Zitat: ZDF)!
Zugegeben: Es ist nicht besonders verwunderlich, dass der Haussender von Markus Lanz nicht viel mit einer Show anfangen kann, deren eigentliche Hauptdarsteller Borodin, Tolstoi, Rodtschenko und Malewitsch waren. Gerade wenn es um Wintersport geht, scheint das ZDF eher auf dem Anton-aus-Tirol-Niveau zu verharren. Die Hintergrundinformationen zum künstlerischen Programm gingen jedenfalls nie über die ersten zwei Zeilen des dazugehörigen Wikipedia-Beitrags hinaus. Mehr passte wohl nicht auf die Moderationskärtchen. Dafür wissen Millionen Zuschauer nun ganz genau über die sexuelle Orientierung des Musik-Duos „t.A.T.u“ bescheid. Wen interessiert denn auch der Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten?
Dank Gellinek und Poschmann wissen die deutschen Zuschauer nun auch ganz genau, wer vielleicht so alles eine uneheliche Tochter von Wladimir Putin sein könnte. Dafür war anscheinend Platz auf den Moderationskärtchen. Und überhaupt – Putin! Obgleich der russische Präsident sich bei der Eröffnungsfeier auf das Aufsagen der Eröffnungsformel beschränkte, überstrahlte er die Kommentierung des ZDF. Was wurde nicht alles spekuliert. Höhepunkt des dümmlichen öffentlich-rechtlichen Gebrabbel war wohl die kecke Spekulation einer Korrespondentin, Putin selbst würde das Olympische Feuer entzünden. „Leider“ enttäuschte Putin die deutschen Journalisten. Dafür applaudierte er „zerknirscht“ (ZDF), als die deutschen Athleten einmarschierten. Warum „zerknirscht“? Wahrscheinlich war er eher peinlich berührt wegen des hochgradig albern bunten Outfits des deutschen Teams. Ach ja – das Outfit. Laut ZDF erinnerte der Papageienlook an eine Regenbogenfahne, die ja bekanntlich das Symbol der Homosexuellen ist. Na toll!
Jedes mal wenn beim Einmarsch der Athleten das dazugehörige Staatsoberhaupt auf der Ehrentribüne gezeigt wurde, lasen Gellinek und Poschmann pflichtgetreu von ihren Kärtchen ab, dass es angeblich „große Proteste“ wegen ihres Erscheinens in Sotschi gab. Stimmt das? Mir ist zumindest nicht bekannt, dass es in den Niederlanden (Ministerpräsident Mark Rutte und das Königspaar waren anwesend) oder in Italien (Ministerpräsident Enrico Letta war anwesend) nennenswerte Proteste gab. Egal. Als offizieller deutscher Vertreter war übrigens ein gewisser Ralf Brauksiepe bei der Eröffnungsfeier anwesend – Brauksiepe ist, wie passend, Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Dafür aber war wenigstens „Altkanzler Herbert Schröder“ (ZDF) da. Wenn das nichts ist?
Politik scheint ohnehin nicht zu den Interessengebieten der ZDF-Moderatoren zu gehören. So schoben Gellinek und Poschmann wieder einmal Russland unterschwellig die Verantwortung für den Georgienkrieg in die Schuhe („Es war bis zuletzt nicht klar, ob überhaupt ein georgischer Athlet anreist“). Dafür herrschte jedoch beim ZDF-Duo-infernale eisiges Schweigen, als die ukrainische Mannschaft vom russischen Publikum frenetisch begrüßt wurde. Dazu stand wohl auch nichts auf den Moderationskärtchen. Wie denn auch? Man musste sich schließlich in gebotener Ausführlichkeit auf Putin und Stalin vorbereiten, wobei der Letztere ärgerlicherweise noch nicht einmal vorkam.
Nun haben die Athleten das Wort und es ist zu wünschen, dass sie den Suggestivfragen der mit Mikrophonen bewaffneten kalten Krieger widerstehen. Wie dies gehen kann zeigte die deutsche Fahnenträgerin Maria Höfl-Riesch. Auf die Suggestivfrage „War schrecklich pompös, gell?“ antwortete sie souverän „Eigentlich genauso wie in Vancouver und toll!“. Da hatte wohl das ZDF vergessen, ihr das richtige Moderationskärtchen zu geben.