Der Millennium-„Bambi“ an Bill Gates – Eine Polemik
Donnerstagabend vergangener Woche: Eine weißbekleidete junge Frau mit Halbmeterausschnitt und ein tätowierter Sänger mit irrem Blick eröffnen die diesjährige „Bambi“-Verleihung. Schnitt. Wenn mindestens zweimal im Jahr die öffentlich-rechtlichen Vernebelungsmaschinen vollends auf Anschlag gedreht werden, dann legen entweder „Ein Herz für Kinder“ (als dreiste Spitzenvertreterin aller Fernseh-Wohltätigkeits-Galas) oder der „Bambi“ gezielt zur Gehirnwäsche ihrer arglosen Zuschauer an. Namentlich der „Bambi“, von der ARD gehätscheltes Kind des Kunsthistorikers und Druckerkönigs Hubert Burda, sucht in seiner ungeniert-schleimigen, boulevardesken Zelebrierung des in beiden öffentlich-rechtlichen Anstalten vorherrschenden konservativ-neoliberalen Weltbilds seinen Meister. Von Mende Tegen.
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In diesem Jahr bekam Bill Gates („Der Welt-Retter von nebenan“ – Huffington Post) den berüchtigten Bambi-Millenniums-Preis für seine „Bill & Melinda Gates-Stiftung”, die sich als mit Abstand finanziell bestausgestattete Privat-Stiftung weltweit für Globale Entwicklung, Gesundheit und Bildung engagiert.
Laudator des Multimilliardärs war “Wer-wird-Millionär”-Moderator Günther Jauch. Jauch, der früher auch schon mal zusammen mit dem Fast-oder-Schon-Milliardär Carsten Maschmeyer auf der Werbe-Bühne stand, löste fürs Publikum denn auch mit Bravour den scheinbaren Widerspruch zwischen steinreichem Unternehmer und Menschenfreund auf und pries den Geehrten als beispielhaft für die segensreiche Kultur des marktkonformen Gebens aus empathischer Milliardärshand. Gezeigt wurde ein mit schwül-pathetischer Streichorchestermusik und bedeutungsschwangeren Bildern unterlegter Einspielfim, der den Weg des Genies Bill Gates vom Studenten-Tüftler, Microsoft-Giganten bis hin zum ebenso gigantischen Wohltäter nachzeichnet, wie er schließlich tief auf Augenhöhe hinuntergebeugt schwarze Kinderhändchen schüttelt. Dann steht das “Bambi”-Publikum auf: Standing Ovations für Bill Gates!
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Das, was Bill Gates mit seiner Stiftung, was die Rockefeller-Stiftung, die Clinton-Stiftung, was der Milliardär Warren Buffet (u.a. im Vorsitz der Gates-Stiftung) usw. tun, ist (punktuell) segensreich, ist sehr oft lebensrettend und ist selbstverständlich ungleich besser und hilfreicher, als es nicht zu tun! Gar kein Zweifel. Und natürlich bestimmen in Menschen wie Herrn Gates und seiner Gattin sicher durchweg ehrenwerte, soziale, vielleicht sogar altruistische Motive ihr Handeln. Aus ihrer Selbstsicht heraus nehmen sie sich freilich sowieso als von dieser Motivlage durchdrungen wahr, zuzüglich der nicht unerheblichen Selbstgewißheit, das konkurrenzlos Richtige zu tun, um die Not auf dieser Erde lindern zu helfen.
Doch diese gern “Philanthrokapitalismus” genannte private Wohltätigkeit größeren Stils ändert nichts an den strukturellen Faktoren, die eine (auch nur halbwegs) gerechte Teilhabe aller Menschen an den Ressourcen dieser Welt verhindern. Diese Wohltätigkeit rüttelt nicht an den Verhältnissen, die Armut produzieren. Dasselbe gilt natürlich auch für die populären Mikrokredite und damit auch für Muhammad Yunus, und es gilt für die Initiativen des noch weit populäreren Milliardärs Bono (der in der DATA-Initiative mit Gates’ Stiftung zusammenarbeitet), und es gilt für Bob Geldof usw. Die Armut bleibt logischerweise mit oder ohne solche Edelmänner- und frauen prinzipiell dieselbe.
Doch auch bei diesen Beispielen ist die Frage natürlich mehr als berechtigt, was denn, bitte schön, gegen die geforderte Entschuldung von Entwicklungsländern oder Mikrokredite einzuwenden sei? Nichts natürlich! Die Kritik ist allerdings, dass diese Initiativen den Blick auf die wirklichen Ursachen von Verteilungsungerechtigkeit und der daraus erwachsenden Armut verschleiern, eine kritische Auseinandersetzung mit Ursache und Wirkung – erfolgreich – vermieden bzw. unterdrückt und damit gleichzeitig das Ungerechtigkeit gebierende System gestärkt und stabilisiert wird.
Der Begriff „Philanthrokapitalismus“ wurde Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts von Matthew Bishop geprägt, einem zutiefst neoliberalen amerikanischen Wirtschafts-Journalisten des noch (neo-)liberaleren britischen „Economist“, dem „Blatt der globalen Führungsschicht“, wie selbst die „Zeit“ einmal bemerkte. Der „Philanthrokapitalismus“ behauptet stets, bescheiden wie er ist, soziale Probleme mit kapitalistisch-unternehmerischer Effizienz wesentlich besser lösen zu können als dies jede andere sozialstaatliche, ethisch oder religiös begründete Wohlfahrt leisten könnte. Das Argument liegt dabei gerne auf der zielgerichteten “Ergebnis- und Leistungsorientiertheit” des Unternehmers samt seiner ihm inhärenten Cleverness, gerade so als müssten staatlich-zivilgesellschaftliche Projekte per se ohne jede Effizienz-Kontrolle auskommen (eines der alten Lieder aller Sozialstaatsgegner). Doch dieses Spiel der Eitelkeiten innerhalb der gewohnten kapitalistischen Grundüberheblichkeit (die ja übrigens tatsächlich im Mantel einer irgendwie eigenartigen Bescheidenheit so seltsam stelzig daherkommt), wer wie und was zum Wohle des Menschen besser und effektiver organisieren kann, lenkt von der eigentlichen, nackteren Botschaft ab: Der Kapitalismus soll also das System sein, das die Not dieser Welt nicht nur lindern, sondern eines Tages im Groben sogar ganz beseitigen kann! Diese bescheidene, na ja, nur ein kleinwenig irreführende Behauptung sollte man erst mal so auf sich wirken lassen.
Doch an das Charity-Unwesen gewöhnte Gesellschaften werden wohl wenig Wirkung verspüren und wissen gar nicht, was eigentlich auf sie wirken soll, sie glauben das blind. Der vom neoliberalen Propaganda-Nebel eingeschläferte Bürger wird sich vielleicht schon in der nächsten Generation sowieso nichts anderes mehr vorstellen können als die Privatisierung auch der allerletzten einstmals gesamtgesellschaftlichen, staatlichen Aufgaben. Das globale neoliberale Projekt – das in unterschiedlicher Gewichtung, Ausgestaltung und Dramatik für jeden Staat, ob in der Ersten oder der so genannten Dritten Welt (Bodenschätze) gilt -, das staatliche Fürsorge diskreditiert und den Wettbewerb zum Fetisch, ja geradezu zum Gott erhebt, ein Projekt das Sozialabbau, Lohndumping, prekäre Beschäftigung, Steuerungerechtigkeit oder eben auch die privatwirtschaftliche Ausbeutung von Bodenschätzen, Großgrundbesitz an sich, schließlich den Krieg (der Demokratie wegen!) als legitimes Mittel zur Profitsicherung und last not least die Armut selbst als alternativlos festschreibt und die Politik zu seinem willfährigen Marionetten-Exekutor und/oder Mitprofiteuer macht, dieses Projekt ist, das muss man konstatieren – Respekt wem Respekt gebührt – bisher hervorragend gelungen. Man muss auch mal loben können…
Nun, man kann Bill Gates und Co. freilich nicht vorwerfen, keine kritischen Fragen an das System zu stellen, das ihn und seine potenten Weggefährten so reich gemacht hat. Man kann ihm demgemäß genauso wenig vorwerfen, mit seinem Tun selbstverständlich dazu beizutragen, das per se die Erdbevölkerungsmehrheit ausbeutende kapitalistische System zu zementieren. Man sollte ihm auch nicht unterstellen, den verarmten „Massen“ soweit Wohltätigkeit und symbolischen Anteil am Reichtum dieser Welt haben zu lassen, wie es notwendig erscheint, einen vielleicht dereinstigen unkoordinierten, über alle Grenzen hinweg tosenden Super-Aufstand entfesselter Kapitalismus- und Globalisierungsverlierer gegen das sie kleinhaltende System verhindern zu wollen. Denn vermutlich denken auch Milliardäre über solche Szenarien, über die Implosion des Systems nach und erkennen in ungehemmt wachsender Armut und Ungleichheit eine tickende Zeitbombe für sich selbst. Weiß man’s denn?
Alle anderen Nicht-Milliardäre- und Nicht-Millionäre aber sollten sich diese Fragen nach dem dahinter stehenden System sehr wohl stellen und sich von Bock und Gärtner gleichermaßen kritisch distanzieren. Die soziale Frage muss zurück in die gesellschaftliche Gesamtverantwortung, sie muss zurück in die politische Verantwortung. Wir sind durch ungezählte Spendenaufrufe, durch unsere zunehmende – politisch unterstützte – Benefiz-Kultur inzwischen so konditioniert, dass wir soziales Handeln oftmals nur noch als fallbezogene private Intervention begreifen, so dass soziales Handeln als Grund- und Staatshaltung, als Gerechtigkeits- und Gemeinschaftsfrage in den Hintergrund gedrängt wird.
Nichts gegen die menschlich wunderbare Fähigkeit zum Altruismus und gegen die unverzichtbare gesellschaftliche und private Notwendigkeit des Gebens, Teilens und Spendens! Aber der neoliberale Nebel muss wieder aus den Köpfen geblasen werden und kapitalistisches Wirtschaften (wiewohl auch – auf andere Weise – kapitalistisches Helfen) muss hinterfragt werden, um die dramatischen Folgen dieses durch den Neoliberalismus endgültig losgelassenen Monsters für Mensch und Umwelt zu erkennen und zu benennen.
Veranstaltungen wie der „Bambi“ sind dagegen lupenreine Propagandamaschinen, die einen beschönigenden, anrührenden, menschlichen Kapitalismus zelebrieren und dem Verschleiern und Verwischen der tatsächlichen Auswirkungen dieses herrschenden Systems dienen sollen. Man könnte solche Veranstaltungen auch soweit herunterbrechen, dass sie sich (mit einiger Vergewaltigung des Begriffs!) unter Antonio Gramscis These von der „Kulturellen Hegemonie“ subsumieren ließen, nämlich der erstaunlichen Begabung der „Eliten“ bzw. Herrschenden, ihre einseitig auf Eigennutz fokussierten Interessen und ideologisierte Weltsicht so durchzusetzen, dass die Nicht-Eliten, also das Volk, diese schließlich als ihre eigenen Interessen und Weltsicht wahr- und annimmt und der Überzeugung ist, es bestehe tatsächlich ein gemeinsames Interesse hinsichtlich des jeweils gegenwärtigen Zustands. An einer diese Interessen als Lautsprecher artig nachstammelnden und willfährig umsetzenden Regierungs- und Oppositionsmehrheit (ausgenommen der Linken), ob alt oder in Bälde neualt, fehlt es hierzulande ja nun auch nicht. Genauso wenig mangelt es an einer ebenso willfährigen, sich im tiefen Kniefall vor den Kapitalinteressen beugenden Medienlandschaft.