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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (RS/WL)

Hier die Übersicht. Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert.

  1. Praeceptor Europae
  2. Kampfhund gegen Sauerkraut
  3. Spanien: Industrieproduktion mit -8,5% im Februar 2013 zum Vorjahresmonat
  4. EU-Kommission fordert: Spanien und Slowenien müssen Wirtschaftskurs ändern
  5. “Nobody in Europe” sees a “contradiction” between austerity and growth
  6. Bankgeheimnis wird gelockert: Luxemburg vollzieht historische Wende
  7. Steueroase Deutschland schließen!
  8. UNICEF-Studie zu Kindern: Erfolgreich, aber unglücklich
  9. Einkommen, Armut und Lebensbedingungen in Deutschland und der Europäischen Union
  10. Illegale Arbeitsverträge – “Mit Hartz IV ist es schlimmer geworden”
  11. Ein Mindestlohn für Arbeit und Rente – Erforderliche Höhe eines existenzsichernden Mindestlohns
  12. Fehlende Studienplätze: Die ganz große Schummelrechnung
  13. “Gekaufte Wissenschaft? – Firmen finanzieren Hochschulforschung”
  14. Gesetzentwurf zur Studiengebührenabschaffung in Bayern: “Koalition drückt sich vor vollständiger Bildungsgebührenfreiheit”
  15. Frauen auf rechtsaußen
  16. Bürgernähe bei der CDU: Die Schwarzwald-Connection
  17. Hinter der Paywall: Ende der Diskussion
  18. Steinbrück macht eine Leiharbeitsfirma glücklich
  19. Schwarz-Gelb mit klarer Mehrheit
  20. Hollandes Bemühungen um Transparenz: Keine Frage der Moral
  21. Das ist keine Revolution: Aus dem Arabischen Frühling wurde der Winter unseres Unbehagens
  22. Ärztemangel in Kalifornien: 10 000 Ärzte gesucht
  23. Das Letzte: Energiewirtschaft will für den Atommüll nicht zahlen

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Praeceptor Europae
    In Berlin mehren sich Warnungen vor einer Zunahme von Unruhen bei südeuropäischen Protesten gegen die deutschen Krisen-Spardiktate. Der Unmut über die deutsche Politik, der bereits vergangenes Jahr von Regierungsberatern aufmerksam und mit Sorge beobachtet wurde, wächst in Südeuropa und tritt bei Teilen der jeweiligen nationalen Eliten, aber auch bei Massendemonstrationen immer offener zutage. (…) Die Brisanz der Entwicklung wird durch eine aktuelle Analyse der International Labour Organization (ILO) verdeutlicht. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit, dass es in der EU zu umfassenden sozialen Unruhen kommt, seit Beginn der Krise deutlich gestiegen. (…) In ungewöhnlich deutlichen Worten warnt der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel, der an der Berliner Humboldt-Universität lehrt und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung tätig ist, davor, den Unmut über die deutschen Spardiktate insbesondere in den am schlimmsten von der Krise betroffenen Staaten zu ignorieren. “Vor allem in Südeuropa” könnten “die Auswirkungen der von außen verordneten Deflation schon jetzt besichtigt werden”, schreibt Merkel in einem aktuellen Online-Beitrag. (…) Wolfgang Merkel räumt ein, “die Südstaaten” beschwerten sich daher “nicht ganz zu Unrecht” über Berlin. Dabei dürfe man die immer stärker auftretende “Deutschlandfeindlichkeit” auf keinen Fall “achselzuckend oder gar arrogant missachten”: Früher oder später werde “Deutschland auch diese Rechnung präsentiert bekommen – spätestens, wenn es selbst in eine Krise gerät”. Letzteres hält Merkel bei einer Weiterführung der Berliner Austeritätspolitik für durchaus wahrscheinlich.
    Quelle: German Foreign Policy
  2. Kampfhund gegen Sauerkraut
    »Ihr Deutschen wollt nicht Deutschland in Europa verankern. Ihr wollt den Rest Europas in Deutschland verankern.« Sätze, denen Linke heute zustimmen müssten. Ausgesprochen hat sie Margaret Thatcher 1993 in einem Interview mit dem »Spiegel«.
    Quelle: Neues Deutschland
  3. Spanien: Industrieproduktion mit -8,5% im Februar 2013 zum Vorjahresmonat
    Das spanische Statistikamt INE berichtete heute die Daten zum Output der Industrieproduktion für den Monat Februar 2013. Der Output der breit gefassten Industrieproduktion (Bergbau, Energieversorgung und Verarbeitendes Gewerbe) sank diesmal um kräftige unbereinigte -8,5% zum Vorjahresmonat. Dies war der schwächste Output in einem Februar seit Februar 1993! Nur um die Anzahl der Arbeitstage bereinigt, ging es um -6,5% zum Vorjahresmonat abwärts. Spanien wandelt bereits ganz offen im Griechenland-Style, nur daß in Spanien die volkswirtschaftliche Dimension eine ganz andere ist. Der Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität ist atemberaubend und mit jeder getroffenen Maßnahme, der schwäbischen Hausfrau Denke entsprungen, wurde der Abwärtsdrall der spanischen Volkswirtschaft noch verstärkt.
    Quelle: Querschuesse
  4. EU-Kommission fordert: Spanien und Slowenien müssen Wirtschaftskurs ändern
    Auch Frankreich, Italien, Großbritannien, Belgien und die Niederlande entwickeln sich nach Ansicht der EU-Kommission ungesund. Es drohen Sanktionen.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: 13 Länder, deren Entwicklung die EU-Kommission “überwacht”, mithin fast die Hälfte aller EU-Länder, stehen auf der Liste. „Es wird einige Zeit dauern, um diese Ungleichgewichte abzubauen.“ – aber der Hauptschuldige für die Ungleichgewichte, Deutschland, fliegt anscheinend unter dem Radar. (Wer würde auch die größte Wirtschaftsmacht in der EU entdecken können??? Im Englischen gibt es dafür die schöne Redewendung “there’s an elephant in the room”, wenn über praktisch alles gesprochen, aber das absolut Offensichtlich für unsichtbar erklärt wird. Diesen Elefanten kann niemand sehen.)

  5. “Nobody in Europe” sees a “contradiction” between austerity and growth
    Von William K. Black
    The two most revealing sentences about the gratuitous Eurozone disaster – the creation of the deepening über-Depression – was reported today.  The context (rich in irony as I will explain) is that U.S. Treasury Secretary Lew spent his Spring Break in Europe meeting with his counterparts.  The Wall Street Journal’s article’s title explains Lew’s mission and its failure: “U.S. Anti-Austerity Push Gets Cool Reception in Europe.”  Here are the sentences that capture so well why Germany’s destructive economic policies caused the über-Depression:  ““Nobody in Europe sees this contradiction between fiscal policy consolidation and growth,” said Mr. Schäuble. “We have a growth-friendly process of consolidation.”
    Schäuble’s economic policies (austerity) have proven catastrophic.  They are contrary to everything we have learned in economics.  In my April 9, 2013 column criticizing the New York Times’ coverage of the self-destructive austerity the EU and the IMF inflicted on Cyprus I quoted Paul Krugman’s devastating criticism of the EU austerians’ dishonest response to their failures and the massive misery they have inflicted.
    Quelle: New Economic Perspektives
  6. Bankgeheimnis wird gelockert: Luxemburg vollzieht historische Wende
    Nach jahrelangem Widerstand beugt sich Luxemburg dem europäischen Druck und lockert sein Bankgeheimnis. Ab 2015 werde sich das Land an der automatischen Weitergabe von Informationen zu Zinserträgen beteiligen, kündigte Regierungschef Jean-Claude Juncker am Mittwoch an. (…) Die Bundesregierung reagierte erfreut. Das sei für Luxemburg “kein leichter Schritt” und werde “ausdrücklich begrüßt”, sagte ein Sprecher von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Im langen Kampf gegen Steueroasen stellten sich langsam die Früchte ein.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung G.K.: Von welchem “langen Kampf gegen Steueroasen” spricht Schäuble? In der Vergangenheit, so z.B. beim von der Opposition mit guten Gründen abgelehnten Steuerabkommen mit der Schweiz, war von diesem “Kampf” Schäubles nur wenig zu spüren. Beim Thema Steuerhinterziehung scheint es sich vielmehr ähnlich zu verhalten wie beim Atomausstieg: Erwecken Schäuble und Merkel nicht zumindest den Eindruck, ernsthafter gegen Steueroasen vorzugehen, dann wäre selbst bei geballtem Einsatz der deutschen Medien zu Gunsten der Union der Machterhalt bei der kommenden Bundestagwahl gefährdet.

    Ergänzende Anmerkung WL: Was ich bisher gehört und gelesen habe, geht es um eine automatischen Weitergabe von Informationen zu Zinserträgen. Die Frage wie und welche Gelder nach Luxemburg gelangt sind, für die Zinsen anfallen, bleibt nach wie vor im Dunkeln.

  7. Steueroase Deutschland schließen!
    Das globalisierungskritische Netzwerk Attac und das Netzwerk Steuergerechtigkeit (Tax Justice Network / TJN) werfen der deutschen Regierung vor, aller Steueroasenbekämpfungsrhetorik zum Trotz bei der Bekämpfung von Steuerflucht und Geldwäsche zu bremsen. “Wenn Finanzminister Schäuble die Offshore-Leaks-Daten auswerten möchte, dann muss er konsequent sein und in der G8 sowie bei der Überarbeitung der EU-Geldwäscherichtlinie für ein verpflichtendes Online-Register der wahren Eigentümer von Briefkastenfirmen streiten”, forderte Markus Meinzer vom Netzwerk Steuergerechtigkeit.  Beide Netzwerke wiesen zudem darauf hin, dass Deutschland selbst unter den weltweiten Top Ten der Schattenfinanzplätze rangiert. “Wer von Steueroasen in der Südsee spricht, darf vom Schattenfinanzplatz Deutschland nicht schweigen”, sagte Jutta Sundermann vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. “Deutschland begünstigt Kapitalflucht, Geldwäsche und Steuerhinterziehung auf globaler Ebene. Gerade den Staaten im globalen Süden werden so viele Milliarden Euro entzogen, die dringend für die öffentliche Daseinsvorsorge benötigt werden.” – Attac und das Netzwerk Steuergerechtigkeit forderten die Bundesregierung dringend auf, ihren Widerstand gegen das Online-Register für Briefkastenfirmen in der EU sowie gegen einen umfassenden automatischen Informationsaustausch der Steuerbehörden oder eine Informationspflicht von Banken und anderen Finanzakteuren endlich aufzugeben. Jutta Sundermann: “Weltweit verlieren Regierungen jährlich schätzungsweise 250 Milliarden Dollar durch Steuerflucht allein von reichen Privatpersonen. Der Betrag, der durch Steuerflucht von Unternehmen verloren geht, ist noch wesentlich höher. Höchste Zeit, Steueroasen weltweit endlich trocken zu legen – offshore und hierzulande!”
    Quelle: Netzwerk Steuergerechtigkeit
  8. UNICEF-Studie zu Kindern: Erfolgreich, aber unglücklich
    Sie leben besser als die Kinder und Jugendlichen in den meisten anderen Ländern der Welt – und trotzdem sind viele Mädchen und Jungen in Deutschland unglücklich. Das hat eine Studie der UN-Kinderhilfsorganisation Unicef ergeben. Demnach hat sich zwar die allgemeine Situation der jungen Generation in der Bundesrepublik weiter verbessert. Allerdings bewertet jeder siebte Jugendliche seine aktuelle Lebenssituation als mäßig bis negativ…
    In den fünf Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Sicherheit, Verhalten und Risiken, Wohnen und Umwelt sowie materielles Wohlbefinden belegte das Land damals zusammengefasst Platz acht. Diesmal liegt es auf Rang sechs…
    Bei der Selbsteinschätzung der Lebenszufriedenheit von Mädchen und Jungen ist Deutschland dagegen tiefer abgefallen als jedes andere untersuchte Land, von Platz zwölf auf Platz 22 von insgesamt 29 Ländern.
    Quelle: Tagesschau

    Anmerkung WL: Diese Diskrepanz erklärt sich eigentlich ziemlich einfach. So geht es wenn man geschönten Statistiken eher Glauben schenkt als der Wirklichkeit der jungen Menschen. Hinter der Statistik verbirgt sich z.B., dass wir eines der „sozial selektivsten Bildungssysteme haben (OECD), dass die wirtschaftlich Benachteiligten viel geringere Chancen haben aufs Gymnasium zu gelangen, dass Hauptschulabsolventen gegenüber Realschülern oder gar Gymnasiasten immer geringere Chancen haben, einen Ausbildungsplatz in der dualen Berufsausbildung zu bekommen, dass unter den nahezu 300.000 Jugendlichen, die keine Lehrstelle haben und in der „Warteschleife“ des sog. Übergangsbereichs geparkt werden, vor allem Hauptschüler sind, dass rund 2,2 Millionen Jüngerer im Alter zwischen 20 bis 34 Jahren (15 % dieser Altersgruppe) keinen Berufsabschluss haben und überwiegend im beruflichen Abseits landen, dass die Hälfte aller Erwerbstätigen unter 24 Jahren nur einen befristeten Arbeitsvertrag haben oder von Praktikum zu Praktikum hangeln müssen, dass gerade junge Menschen überdurchschnittlich stark von Armut bedroht sind. Man sollte nur einmal die Studie des DGB über die Armut unter Jugendlichen lesen, dann ist die angeblich unerklärliche Lebensunzufriedenheit von Mädchen und Jungen sehr leicht erklärlich.

  9. Einkommen, Armut und Lebensbedingungen in Deutschland und der Europäischen Union
    Der vorliegende Artikel ist ein weiterer Beitrag zur regel­mäßigen Berichterstattung über die Statistik EU­SILC 1 in dieser Zeitschrift. Diese Panelerhebung liefert wichtige Indikatoren über Einkommen, Armut und Lebensbedingun­gen in der Europäischen Union (EU) und ermöglicht einen direkten Ergebnisabgleich zwischen den an der Erhebung teilnehmenden Ländern. Es folgt zunächst eine Einführung zum aktuellen Stand euro­päischer und nationaler sozialpolitischer Strategien.  Anhand ausgewählter Sozialindikatoren, die aus EU­SILC er ­ mittelt werden, wird dann im Folgenden das Abschneiden Deutschlands innerhalb der EU hinsichtlich Einkommens­ungleichheit, Armut, materieller Entbehrung und wirtschaft­licher Belastungen sowie weiteren wohlstandsrelevanten Aspekten, wie den Wohn­ und Lebensbedingungen der Bevölkerung, gezeigt.
    Quelle: Statistisches Bundesamt [PDF – 506 KB]

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die NachDenkSeiten hatte unlängst auf die Mitteilung des Statistischen Bundesamtes zur Armutsgefährdung Deutschlands im Vergleich zur Europäischen Union hingewiesen.
    In der Ausgabe von “Wirtschaft und Statistik” vom März 2013 präsentiert Silvia Deckl  darüber hinausgehende Informationen aus LEBEN  IN  EUROPA und geht dabei auch näher auf die jeweiligen statistischen Konzepte ein.  So ist der Ausgangspunkt für die Berechnungen des Schwellenwertes für Einkommensarmut das  verfügbare  Haushaltseinkommen. Im Vergleich zu Luxemburg, Dänemark, Österreich, Niederlande, Belgien und Frankreich liegt Deutschland beim Einkommensniveau deutlich zurück.  Niedriger als in Deutschland ist das Einkommen nur noch im Vereinigten Königreich, in Italien, Spanien und der Tschechischen Republik sowie in Polen. Dabei stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist relativ, arme Länder zu einem solchen Vergleich heranzuziehen. So kommt Dänemark auf ein jährliches Einkommen von 26 394 Euro, Deutschland auf 19 043 Euro und Polen auf 5 025 Euro. Bei der Einkommensverteilung nimmt Deutschland einen mittleren Wert ein. Die einkommensstärksten 20 Prozent der Bevölkerung Deutschland haben im Jahr 2010 etwa 4,5-Mal so viel Einkommen erzielt wie die einkommensschwächsten 20 % der Bevölkerung. In der EU liegt dieser Wert bei 5,1 und in Spanien 6,8  am höchsten. Man könnte sich hier vorstellen, dass die plutokratische Elite Spaniens (Ginikoeffizient 0,34) stärker zur Krisenbewältigung herangezogen werden könnte. Bei Thema Armutsgefährdung greift dieser Aufsatz tiefer. So stellt sich heraus, dass in Deutschland die Armutsquote zwar niedriger als im EU-Durchschnitt lag (S.218) ist. Teile der Bevölkerung – z.B. alleinlebende Menschen – unterlagen jedoch einem erheblich höheren Armutsrisiko als in der EU insgesamt. Höhere Quoten als in der EU ergaben sich auch bei den 50- bis 64-Jährigen: Deutschlandweit waren hier 18,5 % der Personen armutsgefährdet, jedoch nur 14,6 % in der EU insgesamt. Alleinerziehende gehörten 2010 sowohl deutschlandweit (37,1 %) als auch EU-weit (34,5 %) zu den am stärksten von Armut betroffenen sozialen Gruppen. Die Untersuchung bietet u. a. Informationen über unter erheblicher materieller Deprivation leidende Personen (wirtschaftlichen Einschränkungen und materiellen Entbehrungen) und über Personen in Haushalten mit sehr niedriger Erwerbstätigkeit (Erwerbslosenhaushalte). – Die Reihe “Wirtschaft und Statistik” des Statistischen Bundesamtes bietet auch für den statistischen Laien verständliche und interessante Beiträge, z.B. im Januarheft: “Wer sind die ausschließlich geringfügig Beschäftigten? Eine Analyse nach sozialer Lebenslage”.

  10. Illegale Arbeitsverträge – “Mit Hartz IV ist es schlimmer geworden”
    Immer wieder mogeln Chefs bei den Arbeitsverträgen – um Mitarbeiter zu übervorteilen. Die wenigsten wehren sich dagegen, sie fürchten um ihre Existenz. Zu Recht, sagt Arbeitsjurist Peter Schüren im Interview:
    Selbst wer vor Gericht gewinnt, muss sich meist einen neuen Job suchen…
    KarriereSPIEGEL: Meinen Sie denn, dass die Arbeitsmarktlage schlecht ist? Für das vierte Quartal 2012 meldete das Nürnberger Institut für
    Arbeitsmarkt- und Berufsforschung eine Million offene Stellen.
    Schüren: Für Gesamtdeutschland. Doch der Arbeitsmarkt unterscheidet sich regional, nach Tätigkeiten und nach Branchen. Die Marktsituation lässt sich sehr anschaulich am Lohnniveau erkennen. Wenn in einer Region oder einer Branche Menschen für fünf Euro arbeiten, zeigt das eine hohe Nachfrage nach Arbeit.
    Quelle: SPIEGEL

    Anmerkung J.A.: KarriereSPIEGEL schwadroniert von den 1 Million “gemeldeten” (sprich: statistisch zusammengerührten) offenen Stellen. Der Arbeitsjurist ist wohl doch näher an der grausamen Realität – und dass Menschen für Stundenlöhne von 5 Euro arbeiten (müssen) und solche Löhne nicht schon lange selbstverständlich als sittenwidrig illegalisiert sind, zeigt doch klar, wie kaputt der Arbeitsmarkt im “Jobwunderland” Deutschland ist.

  11. Ein Mindestlohn für Arbeit und Rente – Erforderliche Höhe eines existenzsichernden Mindestlohns
    In der politischen Auseinandersetzung um künftig vermehrt drohende Altersarmut wird von vielen Seiten auf die zentrale Bedeutung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns verwiesen. Als potenzielle Ursache weit weniger Aufmerksamkeit findet hingegen die drastische Senkung des Rentenniveaus; nicht selten gilt sie in der Debatte als unausweichliche oder doch unabänderliche politische Entscheidung. Wie hoch müsste ein Mindestlohn sein, der sowohl die »Hartz-IV«-Aufstockung vermeidet als auch im Alter eine Rente erwarten lässt, die wenigstens das Existenzminimum deckt? Und: Kann der Mindestlohn überhaupt ein wirksames Instrument zum Ausgleich der Rentenniveausenkung sein?…
    Für eine Nettorente in Höhe von 677,50 Euro sind demnach insgesamt 26,9 EP nötig. Bei 45 Beitragsjahren erfordert dies über das gesamte Erwerbsleben unterm Strich eine Entgeltposition von knapp 60 Prozent des Durchschnitts (26,9 geteilt durch 45). Nach den vorläufigen Werten für 2013 sind dies monatlich 1.697 Euro, so dass bei einer 37,7-Stunden-Woche ein Stundenlohn von 10,40 Euro für eine existenzsichernde Altersrente notwendig wäre…
    Somit bildet ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn zwar eine notwendige, aber noch längst keine hinreichende Bedingung für eine in Zukunft existenzsichernde Rente. Erforderlich sind vielmehr ein Stopp der weiteren Absenkung des Leistungsniveaus sowie die Rückkehr zu einem lebensstandardsichernden Rentenniveau. Denn ohne Abkehr von dem unter Rot-Grün eingeleiteten Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik bleiben alle Instrumente sowohl auf der Ebene der Primärverteilung, wie etwa ein Mindestlohn, als auch auf der Sekundärverteilungsebene (beispielsweise die nachträgliche Höherbewertung niedriger Pflichtbeitragszeiten) im Kampf gegen Altersarmut weitgehend stumpf.
    Quelle: Portal Sozialpolitik
  12. Fehlende Studienplätze: Die ganz große Schummelrechnung
    Die Hörsäle sind mit 2,5 Millionen Studenten so voll wie nie. Das wollten Bund und Länder eigentlich via Hochschulpakt finanzieren, doch das Finanzmonstrum ist ein typisches Bubenstück des Bildungsföderalismus: Die Länder hielten die Hand auf, investierten aber nicht. Nun wird nachverhandelt.
    Dank Turboabitur sind sie in zwölf Jahren an die Hochschulen gesprintet
    – und finden nun kaum einen Platz im Hörsaal, kaum einen Tisch in der Mensa oder das richtige Buch in der Bibliothek. Angekommen an den Hochschulen, fragen sich die Studienanfänger der Doppeljahrgänge, warum für sie nicht besser vorgesorgt wurde. Mit mehr Geld, mehr Platz, mehr Personal.
    Quelle: SPIEGEL
  13. “Gekaufte Wissenschaft? – Firmen finanzieren Hochschulforschung”
    Weil staatliche Mittel zu spärlich fließen, kämpfen Hochschulen verstärkt um sogenannte Drittmittel: Gelder, die zu großen Teilen von Wirtschaftsunternehmen kommen. Doch solche von der Industrie finanzierten Lehrstühle und Hochschulinstitute stehen oft unter dem Druck, Ergebnisse zu liefern, die den Geldgebern gefallen. So publizieren Hochschulinstitute Gutachten, die für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken plädieren oder vor hohen Fahrzeugpreisen warnen, falls die Europäische Union ihre Richtlinien für geringen Schadstoffausstoß von Fahrzeugen umsetzt. Forschungsergebnisse ganz im Sinne der Konzerne, die die Institute mitfinanzieren, sagen Kritiker. Sie befürchten, dass die Unabhängigkeit der Wissenschaft auf der Strecke bleibt, wenn der Staat die Finanzierung der Hochschulen wirtschaftlichen Interessengruppen überlässt.
    Quelle: Frontal21
  14. Gesetzentwurf zur Studiengebührenabschaffung in Bayern: “Koalition drückt sich vor vollständiger Bildungsgebührenfreiheit”
    Nach dem erfolgreichen Volksbegehren gegen Studiengebühren im Januar liegt nun ein Gesetzesentwurf zur Änderung des Bayerischen Hochschulgesetzes vor, der heute im Bayerischen Hochschulausschuss beraten wurde. Der fzs hat das Volksbegehren gegen Studiengebühren tatkräftig unterstützt und auch die einzelnen Gesetzentwürfe unter die Lupe genommen.
    Erik Marquardt, Vorstandsmitglied des fzs, erklärt hierzu:

    „Die beabsichtigte Abschaffung einiger Gebühren ist ein Schritt in die richtige Richtung. Der vorliegende Gesetzesentwurf der Koalition geht uns nicht weit genug. Die Landesregierung drückt sich davor, die Gebühren komplett abzuschaffen. Das Hochschulstudium wird auch in Zukunft für bestimmte Gruppen Geld kosten und nicht erschwinglich sein. Das Zweitstudium und viele Masterstudiengänge werden voraussichtlich weiterhin viel Geld kosten. Leider wird das Hochschulbildungssystem auch nach der Umsetzung des Gesetzentwurfs hohe soziale Selektivität, viele Studienabbrüche und finanzielle Notlagen unter Studierenden nicht wirkungsvoll bekämpfen können. Hier muss ein grundlegender Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik stattfinden: Bildung ist ein Grundrecht und kein Faktor von Wettbewerbsideologie. Neben Gebührenfreiheit muss der Leistungsdruck auf die Studierenden dringend entschärft werden.”

    Quelle: fzs

  15. Frauen auf rechtsaußen
    Das Spektrum der rechten Frauen ist breit. Auch auf der 129er-Liste, die die Ermittlungsbehörden im Falle der NSU-Morde zusammengetragen haben, finden sich 19 Frauen. “Beate Zschäpe ist nur die Spitze des Eisbergs”, sagt auch die Professorin Michaela Köttig. Frauen treten immer mehr aus dem Hintergrund auf die Bühne. “Der moderne Rechtsextremismus ist ohne das Engagement von Frauen nicht denkbar”, sagt die Köttig, die Lebensläufe rechtsextremer Frauen und Mädchen wissenschaftlich untersucht hat. Beate Zschäpe, so ihre Einschätzung, hat dem Leben im Untergrund einen harmlosen Anstrich gegeben. Demnächst wird sie gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen ein Buch zum NSU herausgeben. Sie hofft, dass rechtsextreme Frauen endlich als das gesehen werden, was sie sind: rassistische, menschenverachtende Täterinnen.
    Quelle: Kontext – Wochenzeitung
  16. Bürgernähe bei der CDU: Die Schwarzwald-Connection
    Probleme mit dem Zoll? Die besondere Fürsprache von hochrangigen CDU-Politikern kann durchaus helfen. – Ermittelt wird gegen eine Gruppe von Branntweinhändlern aus dem lauschigen Schwarzwald. Einer der Betroffenen fühlte sich jedoch zu Unrecht vom Zoll behelligt, wie sein Anwalt schrieb. Sein Mandant würde “von Zollbeamten geringschätzig behandelt und abgekanzelt, wie ein Hehler behandelt”. Sein Rechtsanwalt schrieb daraufhin am 23. Februar 2010 an den Weinhändler unter anderem: “Derweil sollten Sie sich überlegen, mit Ihrem Anliegen bei Ihrem Wahlkreisabgeordneten vorzusprechen. Oberster Dienstherr des Hauptzollamtes ist der Bundesfinanzminister Schäuble. [ …] Ein persönlicher Kontakt über die politische Schiene kann oftmals mehr bewirken als ein Rechtsweg…
    Diese und ähnliche Geschichten hat Jürgen Roth für sein neues Buch “Spinnennetz der Macht – Wie die politische und wirtschaftliche Elite unser Land zerstört” recherchiert. Es ist gerade bei Econ erschienen und kostet 19,99 Euro.
    Quelle: taz
  17. Hinter der Paywall: Ende der Diskussion
    Es gab mal eine Zeit, da waren Gastbeiträge in renommierten Zeitungen für alle Beteiligten eine feine Sache. Die Zeitung profitierte von den (meist) bekannten Namen oder anerkannten Experten, die zu einem bestimmten Thema etwas für sie verfassten. Die bekannten Namen, oft Politiker, aber auch Fachleute mit hoher Reputation, erreichten auf diesem Weg viele Leser und konnten so ihre Position oder Expertise im Originaltext bekannt machen. Und für die Öffentlichkeit waren diese Gastbeiträge ein wichtiger Teil der öffentlichen Debatte über ein Thema. Das ist vorbei, oder schlimmer noch: es hat sich ins Gegenteil verkehrt. Aufgefallen ist mir das in dieser Woche an einem Beispiel, das leider in der deutschen Öffentlichkeit keine große Rolle spielt: Die Bedeutung des freien Seehandels für die Exportnation Deutschland. Gelesen hat ihn vermutlich nur eine relative Minderheit: Die Leser der gedruckten FAZ – nach Eigenangabe gut 350.000 Exemplare am Tag – und diejenigen, die bereit sind, hinter die Paywall der FAZ zu gucken. Hinzu kommen diejenigen in Politik und Verwaltung, die ausgewählte FAZ-Artikel in ihrem Pressespiegel geliefert bekommen. Gewiss, das ist eine stolze Zahl. Aber mit einem Schönheitsfehler: Was auf diesen Verbreitungsweg beschränkt bleibt, bleibt auch in der Diskussion auf den Leserkreis der FAZ beschränkt. Sozusagen: Nur wer katholisch ist, kann über den Papst mitdiskutieren. Nun mag die maritime Abhängigkeit Deutschlands für die breite Öffentlichkeit ein Randthema sein. Aber dieses Muster wiederholt sich ja auch in anderen Fällen: Wer einer Zeitung etwas exklusiv als Gastbeitrag zur Verfügung stellt, läuft Gefahr, dass sein Text damit der öffentlichen Debatte entzogen wird. Ich vermute, meist ohne sich dessen bewusst zu sein. Weil er der Illusion anhängt, dass ein einziges Medium in diesen Tagen noch öffentliche Debatten darstellen kann.
    Quelle: Carta

    Anmerkung Orlando Pascheit: So ganz sehe ich nicht den Unterschied zum Zeitalter der reinen Printmedien. Auch hier waren die Texte nur einer begrenzten Zahl von Lesern zugänglich und der Rest war Reden über, ohne genaue Kenntnis des Original-Textes.

  18. Steinbrück macht eine Leiharbeitsfirma glücklich
    Die SPD hat ihren Wahlkampf-Slogan gefunden. “Das Wir entscheidet” ist aber nicht neu – ausgerechnet eine Zeitarbeitsfirma nutzt ihn seit Jahren.
    Quelle: ZEIT

    Anmerkung WL: Vielleicht hätte man vorher einfach einmal googeln sollen. Siehe hier.
    „Wir suchen SIE für unseren Kunden in Dunningen zur sofortigen Einstellung als Kraftfahrer für die Ver- und Entsorgung bzw. ein Saugwagenfahrzeug. Ihr Profil: -Sie verfügen über Erfahrung als Kraftfahrer -Führerschein Klasse CE wird vorausgesetzt -Sie sind körperlich belastbar und haben Spaß an Ihrem Job Arbeitsbeginn ist 6Uhr Sie fühlen sich angesprochen? Dann bewerben Sie sich noch heute bei uns! Werden Sie einer von uns! Steigen Sie ein in unser faires und ehrliches Team! Unsere einzigartigen Leistungen: -Urlaubs-/ und Weihnachtsgeld -Übertariflicher Stundenlohn -Verpflegungspauschale -Kilometergeld ab dem 1. Kilometer -Unbefristete Anstellung -Übernahmeoptionen bei unseren Kunden Das WIR entscheidet!

  19. Schwarz-Gelb mit klarer Mehrheit
    CDU/CSU und die FDP hängen die Konkurrenz ab: In einer Umfrage landet die Regierungskoalition bei 47 Prozent. Das ist der beste Wert seit 2009. Selbst ein rot-rot-grünes Bündnis kommt derzeit nicht an Schwarz-Gelb heran. (…)Schwarz-Gelb liegt damit vor SPD, Grünen und Linkspartei, die zusammen auf 46 Prozent kommen.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung unseres Lesers G.K.: Einmal abgesehen von dem Fakt, dass diese “Umfrage” dem Hause Forsa entstammt (die NachDenkSeiten weisen seit Jahren auf die mangelnde Seriosität der Güllner-“Umfragen” hin), springt ins Auge, dass es sich bei der Handelsblatt-Überschrift “Schwarz-Gelb mit klarer Mehrheit” um eine erneute Propagandanummer dieses der Arbeitgeberlobby nahestehenden Blattes handelt. Einen prozentualen Vorsprung von gerade einmal einem Prozentpunkt (diese Minimaldifferenz liegt deutlich innerhalb der von Forsa genannten, vom Handelsblatt jedoch unterschlagenen Fehlertoleranz von 2,5 Prozentpunkten) gegenüber den Oppositionsparteien als “klare Mehrheit” zu bezeichnen, grenzt schon an Unverschämtheit. Doch selbst das von Forsa ausgewiesene Umfrageergebnis ist massiv von der den schwarz-gelben Parteien zuarbeitenden Berichterstattung des weit überwiegenden Teils unserer “unabhängigen” und “überparteilichen” Medien geprägt. Diese den Wirtschaftsverbänden nahestehenden Medien werden gerade im laufenden Wahljahr alles dafür tun, mit Schwarz-Gelb jene politischen Kräfte an der Macht zu halten, die mit politischem und ökonomischem Druck dafür sorgen sollen (und möchten), dass die in Deutschland seit vielen Jahren betriebene Politik zu Gunsten der Besserverdienenden und Eigentümer großer Vermögen in den kommenden Jahren auch europaweit erzwungen wird. Dass Millionen und Abermillionen Europäerinnen und Europäer gerade auch aus den unteren sozialen Schichten (diese sind in ihrer übergroßen Mehrheit weder für den Ausbruch der Finanzkrise noch der Eurokrise verantwortlich) direkten Weges in die wirtschaftliche und soziale Verelendung getrieben werden, wird von diesen politischen und medialen Kräften hierzulande sehenden Auges als “Kollateralschaden” in Kauf genommen.

  20. Hollandes Bemühungen um Transparenz: Keine Frage der Moral
    Dass man Französinnen und Franzosen nach dem Skandal um Schwarzkonten mit Moral kommt, ist haarsträubend. Die DurchschnittsbürgerInnen sind längst nicht so überrascht und perplex, wie sich die Regierungspolitiker und Opposition gebärden. Dass herausgekommen ist, dass Ex-Haushaltsminister Jérôme Cahuzac ein Steuerbetrüger mit Einlagen im Ausland ist, hat das Volk weniger erstaunt als dessen Ex-Regierungskollegen. Aus den Konversationen im Café ist zu schließen, dass die Franzosen ein viel nüchterneres Bild ihrer politischen und wirtschaftlichen Elite haben. “Tous pourris!” (“Allesamt korrupt!”), so resümiert der Volksmund in Frankreich schon lange. Vor Hollande, der von seinen Ministern jetzt ein “moralisch exemplarisches Verhalten” verlangt, hatte Sarkozy bereits von einer “Moralisierung des Finanzkapitalismus” gesprochen. Ein wenig mehr Transparenz wäre ja auch schön. Wer hingegen verspricht, das System “moralisieren” zu wollen, schafft bloß neue Illusionen, die darauf warten, vom nächsten “Cahuzac” mit Klamauk zerstört zu werden. Denn seit wann hat dieses kapitalistische System – das in Frankreich auch von seinen Anhängern ohne ideologische Scheu beim Namen genannt wird – etwas mit Moral zu tun? Die Marktgesetze basieren darauf, durch Konkurrenz die bestehende Ungleichheit noch zu vergrößern, die Reichen noch reicher werden zu lassen. Das ist ein Frage der Effizienz, nicht der Moral.
    Quelle: taz

    Siehe auch Schwarze Schafe, weiße Westen
    Quelle: taz

  21. Das ist keine Revolution: Aus dem Arabischen Frühling wurde der Winter unseres Unbehagens
    Nationen zerfallen, Minderheiten erwachen, Bündnisse werden wie im Taumel geschlossen und zerfallen ebenso schnell wieder. Theokratische Regime unterstützen Säkulare; Gewaltherrscher wollen Demokratie; die USA gehen Partnerschaften mit Islamisten ein; Islamisten unterstützen eine militärische Intervention des Westens. Arabische Nationalisten stellen sich an die Seite von Regimen, gegen die sie lange gekämpft haben; Liberale ergreifen Partei für Islamisten, mit denen sie dann aneinander geraten. Saudi-Arabien unterstützt Säkulare gegen die Muslimbruderschaft und Salafisten gegen Säkulare. Die USA sind mit dem Irak verbündet, der mit dem Iran klüngelt, der das syrische Regime unterstützt, dessen Sturz die USA erhoffen und an dem sie mitwirken wollen. Die USA sind auch mit Katar verbündet, das die Hamas unterstützt, und mit Saudi-Arabien, das die Salafisten finanziert, die wiederum Dschihadisten fördern, die dann Amerikaner töten, wo sie nur können.
    In der Opposition waren die Islamisten erfolgreich, weil sie andere verantwortlich machen konnten; als Regierende könnten sie Einbußen erleiden, weil andere nun sie verantwortlich machen werden. Verwässern sie ihre innen- und außenpolitischen Ziele, riskieren sie, ihre Basis zu verlieren; bleiben sie dabei, werden sie Nichtislamisten und den Westen gegen sich aufbringen. Vertagen sie den Kampf gegen Israel, wird ihre Rhetorik völlig losgelöst von ihrer Politik bleiben. In all dem Chaos und der Unsicherheit bieten nur die Islamisten eine vertraute, authentische Perspektive für die Zukunft. Sie mögen straucheln oder fallen, aber wer würde den Stab aufheben? Die liberalen Kräfte haben in diesen Gesellschaften niemals starke Wurzeln geschlagen. Diese nichtislamistische, „fortschrittliche“ Ideologie besitzt Wurzeln, Anziehungskraft und eine Basis; ihr fehlen Organisation und Ressourcen, und es hat ihr geschadet, dass Generationen in ihrem Namen geherrscht und sie dabei so gründlich verdorben haben. Kann sie sich neu erfinden? Wenn die Muslimbruderschaft die nationalistischen Gefühle der Menschen herunterspielt, wenn sie deren Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit ignoriert, wenn sie nicht effektiv regiert, dann gäbe es eine Chance. Die eher nationalistische, fortschrittlichere Weltsicht könnte noch eine Renaissance erleben.
    Quelle: Internationale Politik

    Anmerkung Orlando Pascheit: Ägyptens Wirtschaft verfällt rapide. Das Versprechen Mursis, in den ersten hundert Tagen seiner Präsidentschaft die Lebensbedingungen der Bevölkerung spürbar zu verbessern, war unrealistisch und riskant. In Ägypten leben 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die Devisenreserven haben sich zwischenzeitlich etwa halbiert und liegen jetzt bei ca. 13 Milliarden US-Dollar. Dabei braucht die Regierung Mursi dringend Geld z. B. für Nahrungsmittelsubventionen, damit die die Ärmsten nicht hungern. Damit könnte Ägypten etwa drei Monate lang alle nötigen Importe inklusive Weizen und Benzin bestreiten. Auch so drohen soziale Unruhen wegen Benzinknappheit und teuren Nahrungsmitteln. Zwar kommt das Emirat Katar Ägypten mit einer Finanzspritze in Höhe von drei Milliarden Dollar zu Hilfe, aber die Kredite aus Katar kann das zurzeit verhandelte  IWF-Darlehen nicht ersetzen. Zurzeit verhandelt die ägyptische Regierung mit dem IWF über einen 4,8 Milliarden-US-Dollar Kredit. Nur dürften Subventionen kaum in die neoliberale Weltsicht des IWF passen. Und umgekehrt verhinderten die radikalen IWF-Anpassungsprogramme bislang die Annahme des Kredits. Obwohl selbst die salafistische Nour-Partei, die sich bisher stets gegen den IWF-Kredit gestellt und auf islamische Alternativen bestanden hatte, mittlerweile etwas pragmatischer geworden ist, wissen sie wie auch Mursi, dass eine Annahme des Anpassungsprogramms des IWF die Parlamentswahlen kosten könnte. Deshalb dürften entgegen den Meldungen in den letzten Tagen die wirklichen Entscheidungen erst nach den Wahlen fallen. Viele sehen in der wirtschaftlichen Liberalisierung und den Privatisierungsprogrammen des IWF und der ihm folgenden ägyptischen Elite eine der Ursachen für die revolutionären Massenbewegungen, die Hosni Mubarak im Februar 2011 zu Fall brachte. Leider hat die Regierung Mursi (wie auch die Opposition) kein schlüssiges Konzept, das Land zu entwickeln, dass sie zumindest mit neoliberalen Institutionen wie Weltbank, IWF oder EU-Kommission diskutieren könnte.

  22. Ärztemangel in Kalifornien: 10 000 Ärzte gesucht
    Das von Präsident Obama mit großer Mühe über die Runden gebrachte neue Krankenversicherungsgesetz «Affordable Care Act» wird ab 2014 schätzungsweise 34 Mio. Amerikanern, die bisher nicht krankenversichert waren, Zugang zu medizinischer Versorgung schaffen. Der Berufsstand der Ärzte wird mit dem Zustrom neuer Patienten nicht ohne weiteres Schritt halten können. Auch wenn sich Medizin-Fakultäten sofort auf die neue Situation einstellen könnten, würde es sieben bis zehn Jahre dauern, bis sich die Ärzteschaft auf das neue Niveau eingependelt hätte. Ein Beispiel, wie die Teilstaaten versuchen, dem Problem beizukommen, ist Kalifornien, das mit 38 Mio. Einwohnern der bevölkerungsreichste Teilstaat Amerikas ist. Etwa 4,7 Mio. der Neu-Versicherten werden in dem Gliedstaat an der Westküste leben. Mit fast 100 000 Ärzten weist Kalifornien pro 1000 Einwohner etwa 2,63 Ärzte auf, was ziemlich genau dem Durchschnitt der Vereinigten Staaten entspricht. Allerdings sind die Mediziner nicht gleichmäßig über den Gliedstaat verteilt, und fast drei Viertel der Gemeinden sind schon heute medizinisch unterversorgt. Auch der ethnische Hintergrund der Ärzte und Patienten ist im Ungleichgewicht. Fast 40% der Bevölkerung Kaliforniens stammen aus Südamerika und sprechen manchmal fast kein Englisch, aber bloß 5% der Ärzte sind Latinos. Vor allem wird aber der Zustrom der Neu-Versicherten ein Manko schaffen. Rein rechnerisch erfordert die Zunahme der Versicherten 2014 eine Erhöhung der Ärzteschaft in Kalifornien um mehr als 10 000 neue Mitglieder. Da keine Aussicht auf baldige Besserung besteht, befürchten die Gesetzgeber in der Hauptstadt Sacramento eine Krise bei der primären Krankenversorgung in ihrem Teilstaat….
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Wie marode, auch moralisch, das US-Gesundheitssystem ist, wird darin ersichtlich, dass die Zahl der Ärzte ganz selbstverständlich darauf angelegt war, dass 34 Mio. Amerikaner selten oder nie zum Arzt gehen (können). Das mag etwas polemisch formuliert sein, aber die USA stehen zusätzlich vor weiteren Problemen, die schon ausreichen, um von einem Ärztenotstand zu sprechen: dem demografischen Wandel. Die US-Bevölkerung ist seit 1990 bis heute von ca. 250 Millionen Einwohnern auf mehr als 310 Millionen angewachsen. Nach und nach geht die sogenannte Babyboomer-Generation in den Ruhestand. Damit treten diese Bürger dem staatlichen “Medicare“-Programm bei. Es ist von etwas 15 Millionen zusätzlichen Patienten die Rede. In die Babyboomer-Generation fallen natürlich auch Ärzte. Wenn innerhalb der nächsten zehn Jahre aus Altersgründen etwa ein Drittel Ärzte ausscheiden, werden sie durch die nachkommenden Mediziner nicht kompensiert. Die “Association of American Medical Colleges” (AAMC) prognostizierte 2011, dass in den USA im Jahr 2015 knapp 63 000 Ärzte weniger praktizieren werden, als das Land benötigt. Im Jahr 2020 werden 91 500 Ärzte fehlen, 2025 mehr als 130 000.
    Inwieweit diese Zahlen interessengeleitet übertrieben sind, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber selbst eine Halbierung schreibt bei Ausbleiben von Gegenmaßnahmen eine Klassenmedizin fort.

  23. Das Letzte: Energiewirtschaft will für den Atommüll nicht zahlen
    (So laut Welt)

    Quelle: Harm Bengen

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