Jakob Augstein – der Sowohl-als-auch-Kolumnist.
Auf die Kommentierung seiner Kolumne („Was Merkel jetzt machen muss“) vom 26. Juni hat Augstein mit einem Offenen Brief geantwortet. Wenn Sie genügend Zeit zur Verfügung haben, dann lesen Sie bitte beides nacheinander. Man lernt dabei einiges über einen Publizisten, der als fortschrittlich gilt und links genannt wird, in verschiedenen Medien diese Rolle spielt und dann mit dabei gewonnener hoher Glaubwürdigkeit überraschend andere Parolen verbreitet. Und wenn er dabei ertappt wird, dann wird er persönlich wie in dem Offenen Brief an mich. Von Albrecht Müller
Zur Vorgeschichte: Lange Zeit hatte ich wie viele andere kritische Zeitgenossen den „Freitag“ für ein wichtiges alternatives Medium gehalten. Ich sah in diesem Medium einen wichtigen Partner der NachDenkSeiten – früher haben wir eng mit dem „Freitag“ zusammengearbeitet und wurden des Öfteren um Artikel gebeten. Auch das finanzielle Engagement von Jakob Augstein beim „Freitag“ fand ich hilfreich. Ich hatte jedenfalls keinerlei Vorurteile gegenüber seiner Person. Vielleicht hatte ich zu wenig frühere Texte von ihm gelesen. Seit einiger Zeit jedenfalls wundere ich mich über manche – nicht über alle – Kolumnen und Texte von ihm.
Sein Verhalten und seine Rolle erinnert mich an ein vor langer Zeit geführtes Gespräch mit dem heutigen SPD-Abgeordneten und Gesundheitsexperten Lauterbach. Damals war er Wissenschaftler. Er machte mich in einem Gespräch auf die Rolle von Wissenschaftlern als nützliche Partner des Verbandes der privaten Krankenkassen aufmerksam und betonte, dass diese Lobby vor allem Interesse an Wissenschaftlern hätte, die als links und SPD-nah gelten. In der Tat war dann beispielsweise der Sozialdemokrat Bert Rürup für die Durchsetzung der Lobbyinteressen bei der Teilprivatisierung von Gesundheits- und Altersvorsorge um vieles wichtiger als zum Beispiel Raffelhüschen.
An diese Begegnung musste ich denken, als ich die Kolumne Augsteins und sein darin deutlich artikuliertes Lob für Angela Merkel und für die Hartz-Maßnahmen von Gerhard Schröder las. Für die Verbreitung dieser Meinungen im linksliberalen Bereich ist Augstein mit seinen Medien- und Talkshowauftritten und seinem Produkt „Freitag“ um vieles wichtiger, weil glaubwürdiger, als zum Beispiel sein Kolumnisten-Kollege vom „schwarzen Kanal“ Fleischhauer oder als der Briefeschreiber Wagner in der Bild-Zeitung.
In seinem Offenen Brief wendet Augstein zur Abwehr der Kritik einen wirklich beachtlichen Trick an. Er wirft mir vor, seine früheren Kolumne nicht beachtet zu haben. Zum Beispiel:
- Wenn man jetzt also bemängelt, dass Angela Merkel, die aus meiner Sicht in der Vergangenheit nahezu alles falsch gemacht hat, jetzt aus der Sicht von Augstein die Rettung bringen soll, dann verweist Augstein auf frühere Merkel-kritische Kolumnen.
- Wenn man bemängelt, dass er Schröder wegen dessen Hartz IV-Reformen und des damit erbrachten „Opfers“ lobt, dann wird man zunächst einmal wortklauberisch darauf hingewiesen, dass Herr Augstein von Hartz IV-„Maßnahmen“ und nicht von Hartz IV-„Reformen“ geschrieben habe und dann verweist er noch auf einen früheren Text, den ich hätte ergoogeln sollen, um zu entdecken, dass er Hartz IV nicht für wichtig und erfolgreich hielt.
Wenn man seine Kolumnen liest, dann muss man also immer prüfen, was der Kolumnist vielleicht früher darüber geschrieben haben könnte. Und dann kann man sich aussuchen, ob man gerade das „sowohl“ oder das „als auch“ für des Kolumnisten Meinung halten will. Das ist ja schon ein tolles Stück.
Erstaunlich ist, dass Augstein persönlich wird
Darauf hat Lapis auf dem Blog der FreitagCommunity gebührend geantwortet. Hier:
Lapis 27.06.2012 21:19
Wer immer nur “im Zweifel” “irgendwie” Links ist, jede klare Positionierung vermeidet und sich in Romantisierungen und schönfärberischen Allgemeinplätzen verliert, muß sich über Widerspruch von Menschen mit der Fähigkeit zum kritischen Denken und der Bereitschaft, für ihre Überzeugungen einzustehen, nicht wundern.
Wenn Herr Augstein meint, mit Beleidigungen (guter Ruf zu Unrecht, nicht seriös, kein kluger Leser, Vorurteilbeladen, nicht aufmerksam, skrupellos, unseriös) könne er einer sachlichen, am Text orientierten und nachvollziehbar begründeten Kritik von Herrn Müller adäquat begegnen, so fällt dieser dünnhäutige und pubertär wirkende “Offene Brief” voll und ganz auf seinen Autor zurück.