Die Angst der Eliten vor dem Volk
Wie eigentlich kaum anders zu erwarten, hat das Gros der deutschen Medien mit hysterischer Schnappatmung auf den Linksrutsch in Frankreich und Griechenland reagiert. Anstatt das Votum des Volkes zu akzeptieren und zu respektieren, verweist die deutsche Presselandschaft lieber mit gespielter Distanziertheit auf die vermeintliche Reaktion der Finanzmärkte und prophezeit der Eurozone eine „Vertrauenskrise“. Freilich ist dabei nicht das Vertrauen der Bürger, sondern das Vertrauen der Finanzspekulanten gemeint. Die Bürger vertrauen nämlich längst nicht mehr darauf, dass die Politik ihre Interessen vertritt. Da stellt sich unweigerlich die Frage, ob Medien, die ganz offen die Interessen der Eliten und der Finanzlobby über die Interessen des Volkes stellen, überhaupt noch der freiheitlich demokratischen Grundordnung entsprechen. Von Jens Berger.
Wer die Berichterstattung der Mainstream-Medien verfolgt, muss unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass die Reaktionen der Finanzmärkte als objektiver Gradmesser für die Wahlergebnisse in Frankreich und Griechenland herangezogen werden können. Die Süddeutsche Zeitung interpretiert den Kursrückgang des Euros zum Dollar in Höhe von einem Cent als „Rückkehr der Furcht“ und macht eine „Vertrauenskrise“ aus. Dies ist eine eigenwillige Interpretation, wenn man bedankt, dass der Euro bei seiner Einführung mehr als 40 Cent unter dem heutigen „Furchtkurs“ bewertet wurde. Der einst stolze SPIEGEL beklagt über sein Onlineportal „die Unsicherheit nach den Wahlen in Frankreich und Griechenland“ und die „Furcht vor einem lang anhaltenden politischen Chaos“. Im gleichen pessimistischen Grundton orakelt die WELT, dass „die Wahlergebnisse in Frankreich und Griechenland die Angst der Anleger vor einem Ende der Sparpolitik [schüren würden]“. Wie kaum anders zu erwarten sorgt sich auch die BILD um „unsere Ersparnisse“, die durch die Wahlen, bei denen „Chaos über Vernunft [siegte]“ nun mehr denn je gefährdet sind.
All dies erinnert in seiner manipulativen Meinungsmache an das ironische Plakat des Künstlers Klaus Staeck, der die Wähler 1972 warnte:
„Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“.
Satirisches Plakat zu den Bundestagswahlen von 1972.
Klaus Staeck
Bundesrepublik Deutschland, 1972
Druck
83,2 x 58 cm
Haus der Geschichte, Bonn
EB-Nr.: 1988/2/113.0035© Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Bebildert sind diese Artikel mit trüb dreinblickenden Aktienhändlern und düsteren Agenturbildern der Akropolis. Die Botschaft ist klar: Wenn das Volk sich in Wahlen gegen die Statthalter der marktradikalen Ideologie ausspricht, droht dem ganzen Kontinent ein Unheil, das auch nicht vor der Türschwelle des deutschen Lesers haltmacht.
Sieht so eine Berichterstattung aus, die das Volk als Souverän respektiert? Wohl kaum. So sieht vielmehr eine Berichterstattung aus, die die Interessen der Finanzmärkte als Souverän respektiert und akzeptiert. Angela Merkels Leitbild der „marktkonformen Demokratie“ wurde mittlerweile kritiklos von den Medien übernommen. Jede Art von Politik, die „die Märkte verunsichern“ könnte, wird verteufelt, Kritik an der neoliberalen Agenda ist unerwünscht.
Der Publizist Paul Sethe:
„Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten“.
Daran hat sich bis heute offenbar nichts geändert. Anstatt den Wählerwillen der Franzosen und Griechen zu respektieren, führt man lieber „die Finanzmärkte“ als vermeintlich objektiven Schiedsrichter über den Wählerwillen ins Feld. Was im Interesse der Allgemeinheit ist, muss jedoch keineswegs auch im Interesse der Finanzmärkte sein. Im Gegenteil, will sich unsere Gesellschaft aus dem Würgegriff der Finanzmärkte befreien, muss sie logischerweise gegen deren Interessen handeln.
Kann es jedoch auch sein, dass der Terminus „Finanzmärkte“ in diesem Kontext nur ein Synonym für die Meinung der „200 reichen Leute“, die „Eliten“, ist, die Sethe anführt? Es ist verständlich, dass diese „Eliten“ kein Interesse an einer höheren Besteuerung der Spitzeneinkommen haben, wie sie Hollande in seinem Wahlprogramm verspricht. Es ist auch verständlich, dass diese „Eliten“ die Umverteilung von Steuergeldern in ihre Taschen, die mit den angeblichen „Eurorettungsprogrammen“ garantiert werden, nicht durch eine griechische Regierung gefährdet sehen wollen, die sich diesem Irrsinn widersetzt. Ja, es ist sogar verständlich, dass diese „Eliten“ jeder Form von linker Politik, die sich gegen ihre Interessen stellt, ablehnt.
Wer in Deutschland linke Politik betreibt, wird von den Medien wahlweise ignoriert oder bekämpft. Ohne die massive Meinungsmache der Medien wäre die vorherrschende Politik, die sich gegen die Interessen des Volkes wendet und nur die Interessen der „Eliten“ bedient, wohl gar nicht möglich. Die beiden großen Philosophen Bert Brecht und Edmund Stoiber erkannten, dass „nur die dümmsten Kälber ihre Metzger selber [wählen]“. Seien wir doch froh, dass die französischen und griechischen Kälber nicht ganz so dumm sind wie ihre deutschen Artgenossen. Seien wir vor allem froh, dass unsere glorreichen Druckerzeugnisse im Ausland nicht gelesen werden und ihre manipulative Wirkung trotz Schengen an der Landesgrenze haltmacht.