Griechische Verhältnisse

Ein Artikel von Niels Kadritzke

In der deutschen Debatte über Griechenland findet man vor allem auch innerhalb der Linken folgende Thesen:

  • Die Regierung von Lukas Papadimos sei den Griechen von außen aufgenötigt worden, um einen „Technokraten“ als Exekutor des von Brüssel vorgegebenen Kurses einzusetzen.
  • Giorgios Papandreou sei wegen seiner demokratischen Idee eines Plebiszits aus dem Amt gejagt worden.
  • Es bestünde die reale Gefahr eines Militärputsches in Griechenland.

Diese drei Thesen will ich einem Realitätstest unterziehen. Niels Kadritzke

Vorbemerkung

Wenn ich einige Auffassungen kritisiere, die der griechischen Realität nicht Rechnung tragen, heißt dies natürlich nicht, dass ich das „real existierende“ Rettungskonzept, das derzeit in Griechenland praktiziert wird, rechtfertigen würde. Ich halte dieses Konzept im Gegenteil für falsch, weil ungerecht und kontraproduktiv und habe das auf den NachDenkSeiten (u.a. hier) bereits ausführlich begründet. Meine Einschätzung der griechischen Verhältnisse, die ich immer wieder aus der Nähe erlebe, entspricht der ausgewiesenen Kritik linker Ökonomen, dass ein nur auf Sparen fixiertes Krisenprogramm für Griechenland keinen Ausweg bietet, und dass auf europäischer Ebene letztlich nur Eurobonds die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die stark überschuldeten Euro-Staaten langfristig – und im Fall Griechenland sehr langfristig – ihren in der Tat erdrückende Schuldenlast abzubauen.

(Um nicht ständig auf meine früheren Beiträge auf den NachDenkSeiten verweisen zu müssen, empfehle ich an dieser Stelle auch eine vorzügliche Publikation der Evangelischen Akademie Loccum: „Griechenland und die Lehren für die Euro-Zone“ Loccumer Protokolle 12/11. Sie bietet unter anderem eine faktenreiche, mit vielen Tabellen unterlegte Analyse der „griechischen Krankheit“, die der Wirtschaftswissenschaftler Tassos Giannitsis von der Universität Athen, vorgelegt hat (das insgesamt höchst lesenswerte Heft ist hier zu beziehen))

Enttäuschung über fehlende europäische Solidarität

Die von Berlin und Paris vorgegebenen Beschlüsse, die auf dem EU-Gipfel vom 8. Dezember gefasst wurden, waren für Athen keine Überraschung. Und die Zustimmung der Regierung Papadimos zu diesen Beschlüssen stand schon deshalb nie in Frage, weil das Land in seiner prekären Lage am äußersten Rand der Eurozone derzeit null Verhandlungsspielraum hat. Auch die verschärfte Spardisziplin, die sich die EU-Länder (minus Großbritannien) auferlegt haben, kann die Griechen kaum schrecken, weil sie dem künftigen Regime strikter Haushaltskontrolle schon seit zwei Jahren unterliegen. Der einschneidende Souveränitätsverzicht, der als Preis für die nächsten Schritte in Richtung einer Fiskalunion auf die einzelnen EU-Länder zukommen wird, hat im Fall Griechenland also längst stattgefunden.

Enttäuschend ist aus Athener Sicht allerdings, dass keine konkreten Schritte in Richtung einer europäischen Solidargemeinschaft beschlossen wurden, die am Ende eine gemeinsame Haftung für die nationalen Staatsdefizite einschließen müsste, sprich Eurobonds oder eben direkte Aufkäufe von Staatsanleihen durch die EZB. Ohne diese Enttäuschung artikulieren zu dürfen, hat Regierungschef Papadimos die griechischen Hoffnungen artikuliert, als er in Bezug auf die Frage der Eurobonds betonte: „Dieser Vorschlag wurde nicht abgelehnt, im März 2012 wird man darüber weiter reden.“ Inzwischen hat Papadimos sich in dieser Frage klar positioniert: Gemeinsame Staatsanleihen seien „ein wichtiger Bestandteil in einer Gesamtstrategie, um die Schuldenkrise zu überwinden“. (zitiert nach FAZ vom 15.12.)

Gefahr des Scheiterns des Umschuldungsprogramms

Dass aus Athener Sicht der Eurobond – sprich die europäische Transferunion – als letzte Hoffnung erscheint, leuchtet unmittelbar ein. Aber diese Hoffnung hilft für die nächsten drei Monate nicht weiter. Viel dringlicher – und bedrängender – ist für Griechenland derzeit ein anderes Problem. Das Ende Oktober beschlossene Umschuldungsprogramm, das dem Land angeblich eine 50-prozentige Entlastung von seiner Staatsschuld bringen soll, klemmt am alles entscheidenden Punkt: bei der Einbeziehung der privaten Gläubiger, dem sogenannten Private Sector Involvement (PSI). Finanzminister Venizelos hat dies in Brüssel angedeutet, indem er die Erklärung der Europartner würdigte, wonach das PSI-Programm im Fall Griechenland als „einmaliger Ausnahme“ zu betrachten sei. Diese Aussage helfe dem Land bei den Verhandlungen mit dem privaten Sektor, weil sich nun die „privaten“ Bond-Halter, also v.a. die Banken, „sicherer fühlen“ könne, dass sie nicht mit weiteren Abstrichen bei den irischen oder portugiesischen Bonds rechnen müsse.

Das auffälligste Merkmal des Brüsseler Gipfels war aus Athener Sicht, dass der „Sonderfall Griechenland“ explizit kaum eine Rolle spielte. Ob das für die Griechen ein beruhigendes Zeichen oder ein Alarmsignal ist, darüber gehen die Kommentare in den einheimischen Medien auseinander. Einig ist man sich darin, dass die Athener Staatskasse mit der Auszahlung der sechsten Rate von 8 Milliarden Euro aus der Kasse der EU-Partner bzw. des IMF nur kurzfristig vor der Insolvenz bewahrt wurde. Bei einem Scheitern des PSI-Programms wäre die Gefahr eines „unkontrollierten“ Staatsbankrotts sofort wieder akut – und das bereits in wenigen Wochen. Niemand macht sich in Athen heute noch Illusionen darüber, dass dieser Insolvenz-Fall zugleich den Abschied aus der Eurozone bedeuten würde. Umso besorgter werden die Aussagen von „Experten“ registriert, wonach der Rausschmiss Griechenlands aus dem Euro „eine Brücke ist, die das deutsche Establishment eindeutig schon überquert hat, und wahrscheinlich auch Mr. Sarkozy“ (zitiert von Nils Pratley im Guardian vom 7. Dezember).

Die prekäre Lage verschafft Papadimos Akzeptanz

Nur vor dem Hintergrund dieser unberechenbaren und nach wie vor äußerst prekären Lage ist verständlich, warum die Regierung Papadimos eine erstaunlich hohe öffentliche „Akzeptanz“ genießt. In einer Umfrage vom 6. Dezember (wie in Umfragen gleich nach der Wahl von Papadimos zum Ministerpräsidenten) wurde die Bildung der neuen Regierung von 58,4 Prozent der Befragten als „positive“ oder „eher positive“ Entwicklung qualifiziert, von 38,9 Prozent als negativ oder eher negativ. Die Zustimmung zur Person Papadimos lag noch höher: 62,6 Prozent haben von ihm eine positive Meinung, 30 Prozent eine negative. Die Werte für Papadimos sind umso erstaunlicher, wenn man sie mit der Popularität seines Vorgängers Papandreou vergleicht, die auf ein Rekordtief von 16 Prozent abgestürzt ist.

Die abstrakte Debatte über einen „weichen Staatsstreich“ geht an der Wirklichkeit vorbei

Die griechischen Umfragezahlen und die Einschätzungen und Gefühle, die sich in ihnen ausdrücken, bedürfen einer Erklärung. Sie sind jedenfalls nur schwer vereinbar mit dem vernichtenden Urteil, das manche über die Person des „Technokraten“ gefällt haben, der die Macht in Athen im Auftrag ausländischer Interessen übernommen habe, nachdem sein Vorgänger Papandreou wegen seiner „demokratischen“ Idee eines Plebiszits aus dem Amt gejagt worden war.

Am krassesten wurde diese vorgeblich „linke“ Sicht der Dinge von Oliver Nachtwey in der taz vom 5. Dezember vorgetragen. Er bezeichnet die Amtsübernahme durch Papadimos in Athen – und durch Monti in Rom – als „weichen Staatsstreich“. Demnach haben „in der Hülle der Experten und Technokraten … Statthalter der Euro-Finanzmärkte, des Bank- und Industriekapitals direkt die Macht übernommen“. Was hier zugespitzt formuliert ist, kann man durchaus als „linken Tenor“ bezeichnen. Der äußert sich auch in der verbreiteten Einschätzung, dass die von Papandreou geforderte und durch Papadimos vereitelte Volksabstimmung über das Krisenprogramm eine großartige demokratische Idee gewesen sei. Wobei stets die Hoffnung mitschwang, die Griechen würden dieses Programm der Troika (EU-Kommision, EZB und IWF) auf plebiszitärem Wege in den Orkus der Geschichte befördern.

Diese Wahrnehmung liegt auch der – im Übrigen glänzenden und im besten Sinne aufklärerischen – jüngsten Bundestags-Rede von Gregor Gysi zur Europäischen Krise zugrunde. Nachdem er zu Recht darauf hingewiesen hat, dass die Finanzkrise mit einem „dramatischen Demokratie-Abbau“ einhergehe, behauptet er in Bezug auf Griechenland: Da sei „auf Wunsch der Jongleure der Finanzwelt ein Technokrat als Regierungschef eingesetzt“ worden. Und wenn einer wie Papandreou die Bevölkerung dazu befragen wolle, werde er von Sarkozy und Merkel zum Rapport bestellt „und zwei Tage später ist er weg“. Gysi geht offenbar davon aus, dass Papadimos den Griechen aufgezwungen werden musste, um ihnen die ersehnte Chance zu nehmen, in einem Referendum über die in Brüssel beschlossene nächste Etappe des „Rettungsprogramms“ zu richten.

Realitätstest gängiger Mythen

Ich möchte solche Auffassungen im Folgenden einem Realitäts-Check unterziehen. Um den Schock gleich vorwegzunehmen: Ich halte diese Thesen für waghalsige Mythen, an die man nur glauben kann, wenn man von der griechischen Wirklichkeit abstrahiert. Und die zeigen, dass die Kenntnisse über Griechenland auch auf der Linken nach wie vor begrenzt sind. Das gilt insbesondere auch für die Stimmen, die einen Militärputsch für eine reale Bedrohung halten (die allerdings im europäischen Ausland weit verbreiteter sind als in Deutschland).

In der Folge will ich auf drei gängige Mythen eingehen, nämlich auf die Thesen

  1. von der „Usurpation“ der Macht durch eine Technokraten-Regierung unter Führung des „Bankers“ Lukas Papadimos;
  2. von der „Beseitigung“ der Regierung Papandrou durch Intervention von außen, als Reaktion auf das „demokratische“ Projekts das griechische Volk über die Sparprogramme der Regierung und der Troika abstimmen zu lassen;
  3. von der Gefahr eins „Militärputsches“ in Griechenland nach dem Vorbild der Obristen-Diktatur (1967-1974).

Es versteht sich von selbst, dass diese Kritik wiederum kritisierbar ist. Und ich würde mich über begründete Einwände freuen, da sie mich zwingen würden, meine eigenen Überlegungen zu verfeinern oder zu korrigieren. Allerdings wäre es nützlich, wenn Kritik und Einwände nicht auf abstrakter Ebene – oder in rein moralischen Kategorien – formuliert würden, sondern sich auf die Fakten beziehen, die ich im Folgenden darzulegen versuche.

Papadimos und die angebliche „Machtübernahme des Finanzkapitals“

Die Anfang November neu gebildete Übergangs-Regierung in Athen hat viele Kommentare provoziert, die auf einen Vergleich mit der „Technokraten“-Regierung Monti in Italien abheben. Dabei wird übersehen, dass es zwischen beiden Modellen, die in der Tat für einen neuen politischen Trend in der Reaktion auf die „europäische Krise“ stehen, mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten gibt. Entscheidend sind dabei zwei Punkte:

  • Papadimos steht einer Regierung von drei Parteien vor, ist also anders als Monti nicht Chef einer „überparteilichen“ Technokratentruppe, sondern einer (lockeren) „großen Koalition“ von drei Parteien vor.
  • Auftrag und Amtszeit dieser Regierung wurde auf Betreiben eines Partners (der Nea Dimokratia) sehr begrenzt definiert, ohne allerdings einen konkreten Termin für ihr Ende und dann fällige Neuwahlen zu bestimmen. Die Amtszeit der Regierung Monti ist dagegen länger und durch den nächsten regulären Termin der Parlamentswahlen festgelegt.

Die Regierung Papadimos hat nach dem Willen der „Koalitionspartner“ (neben Pasok und ND auch die rechtsradikale Partei namens Laos) den Auftrag, die Auszahlung der 6. Tranche des „Rettungsschirms“ zu sichern (was Anfang Dezember geschehen ist) und die Umsetzung des am 26/27. Oktober in Brüssel beschlossenen Umschuldungsprogramms zu gewährleisten, was vor allem heißt: die Verhandlungen über die Beteiligung des privaten Sektors (PSI) an dem „Schuldenschnitt“ von ca. 50 Prozent erfolgreich abzuschließen.

So begrenzt diese Aufgabe definiert ist, so begrenzt sind zunächst auch die Erwartungen der griechischen Öffentlichkeit an die derzeitige Regierung. Das könnte für den neuen Regierungschef ein Vorteil sein, weil er im Gegensatz zu den Parteipolitikern an konkreten Resultaten gemessen werden kann, und nicht wie Papandreou an Versprechungen, die sich im Handumdrehen als realitätsfern erweisen. Die „Fallhöhe der Enttäuschung“ ist für Papadimos weitaus niedriger als bei den Parteipolitikern jeder Couleur. Und das gilt umso mehr, als er nicht wie Parteipolitiker der Versuchung ausgesetzt ist, falsche Versprechungen zu machen. Im Gegenteil: In seiner Antrittsrede im Parlament hat er vor allem versprochen, der Bevölkerung „reinen Wein einzuschenken“. Dazu gehörte die Aussage, Griechenland werde frühestens 2015 „aus dem Tunnel herauskommen“.

Es geht um den Verbleib Griechenlands in der Eurozone

Papadimos ist die Rolle fast automatisch zugefallen, weil in der aktuellen Situation Griechenlands der Typ eines europäisch vernetzten „Technokraten“ die besten Voraussetzungen für die anstehende Aufgabe zu erfüllen scheint. Diese Aufgabe ist der Form nach zwar eine „technokratische“, dem Inhalt nach aber eine politische von allerhöchster Bedeutung, geht es doch um nicht weniger als den Verbleib Griechenlands in der Eurozone.

Nur wenn man diese „raison d’etre“ der Regierung Papadimos begreift, die sich aus einer – für Griechenland äußerst schwierigen und bedauerlichen Realität – fast automatisch ergibt, kann man über eine rein „moralische“ Bewertung des neuen Regierungschefs hinaus gelangen. Die sich zum Beispiel auch darin äußert, dass man ihn als „Banker“ bezeichnet, der er nicht ist und auch nie war.

Griechenland ist schon längst „Befehlsempfänger“ seiner Gläubiger

Lukas Papadimos begann seine berufliche Laufbahn als akademischer Ökonom marktwirtschaftlicher, aber keineswegs monetaristischer Prägung. Anschließend wechselte er in das Fach des praktischen Ökonomen, der er es bis an die Spitze von Zentralbanken schaffte (als Präsident der griechischen Notenbank, danach als Vizechef der EZB). Papadimos wäre demnach nicht als Banker, sondern als Wirtschaftspolitiker zu kritisieren – also ausweislich seiner Aktivitäten und Fehler als „EZB-Mann“ und enger Mitarbeiter des ehemaligen EZB-Präsidenten Trichet -, der sich strikt an den vorgegebenen engen Auftrag gehalten hat, für die Geldwertstabilität zu sorgen und nur für sie.

Papadimos denkt sicher in den Kategorien, die er als Zentralbanker verinnerlicht hat. Aber er ist kein willfähriger Abgesandter „des Finanzkapitals“ und schon gar nicht ein Möchtegerndiktator. Einen Bruch mit der „Ära Papandreou“ repräsentiert er schon deshalb nicht, weil er seit seinem Rückzug aus der EZB einer der wichtigsten Berater von Giorgos Papandreou war, der ihn im Juli 2011 zum Wirtschaftsminister seiner Regierung berufen wollte (was Papadimos damals aus nicht ganz geklärten Gründen ablehnte). Entsprechend ist das politische Profil des neuen Regierungschefs eher das eines gemäßigten Sozialdemokraten. Und es ist keineswegs ein Zufall, dass er 1994 von Andreas Papandreou, einem „linken“ Sozialdemokraten und bekennenden Keynesianer, an die Spitze der griechischen Zentralbank berufen wurde.

Aktuell kann Papadimos allerdings wenig „Sozialdemokratisches“ versprechen. Aber er erklärt natürlich, dass er bei allen weiteren Sparmaßnahmen mehr Rücksicht auf die sozial Schwachen nehmen wolle. Und er betont die Bedeutung des Kampf gegen die Steuerhinterziehung, der im heutigen Griechenland zum einem wichtigen Aspekt der sozialen Gerechtigkeit geworden ist. Sicher ist es kein Zufall, dass seit Amtsantritt der neuen Regierung mehr fünfzig der größten Steuerschuldner (zumindest vorübergehend) verhaftet wurden. Das ist zwar zunächst nur Symbolpolitik, aber da höhere Steuereinnahmen für den Staat zur Überlebensfrage geworden sind, wird Papadimos alles tun, um in diesem Punkt den Erwartungen der Bevölkerung wie der Gläubiger Griechenlands gerecht zu werden.

Wichtiger als das moralische Profil von Papadimos ist jedoch die völlig „amoralische“ Frage, die man – in guter marxistischer Tradition – nie aus dem Auge verlieren sollte: Welche realen Verhältnisse tragen dazu bei, eine konkrete Figur in eine herausgehobene Funktion zu heben? Im Fall Papadimos ist das entscheidende Faktum: Griechenland ist schon seit zwei Jahren nicht mehr souverän. Die Athener Regierung hat Schritt für Schritt den eigenen Handlungsspielraum eingebüßt und ist zum „Befehlsempfänger“ seiner Gläubiger und der Instanzen geworden, deren Anweisungen sie nur bei Strafe des Staatsbankrotts und des Ausschlusses aus der Eurozone verweigern kann. Und das ungeachtet der Tatsache, dass dieses Rettungsprogramm längst zum Desaster geworden ist.

Der Spielraum der Athener Regierung ist extrem begrenzt

In dieser Situation ist es eine sekundäre Frage, wer die „Befehle“ der griechischen Gläubiger bzw. der Euro-Partner entgegennimmt. Letztere sind keineswegs auf einen „willfährigen Banker“ an der Spitze der Athener Regierung angewiesen, deren Spielraum ohnehin extrem begrenzt ist. Diese Lage hat die griechische Bevölkerung endgültig begriffen, seitdem sie mit der Aussicht auf den Staatsbankrott und das Ausscheiden aus der Eurozone konfrontiert ist. Dass die erzwungene Rückkehr zur Drachme einem „politischen und wirtschaftlichen Selbstmord“ gleichkäme (so Gabriel Glöckler und Steffen Strodthoff und dem erwähnten Loccumer Protokoll 11/12) ist 80 Prozent der Griechen inzwischen völlig klar. Schon dies erklärt die hohe Zustimmungsrate zur Regierung Papadimos, von der sich die meisten Griechen – weitgehend illusionslos und tagesopportunistisch – vor allem drei Dinge versprechen:

  • die Sicherung der nächsten Raten aus dem „Rettungsfonds“ (EFSF bzw. ESF);
  • die Umsetzung des PSI, also des Schuldenschnitts gegenüber den privaten Gläubigern des Landes;
  • das Überleben in der Eurozone.

Papadimos gilt als die Figur mit den relativ besten Chancen, diese Ziele zu erreichen, und zwar gerade weil er kein Parteipolitiker, sondern ein international vernetzter „Technokrat“ mit guten Kontakten zu den Repräsentanten der Troika in Brüssel, Frankfurt und Washington ist. Angesichts der Kalamität, in der sich Griechenland befindet, sieht die Mehrheit der Griechen in einem Euro-Technokraten keinesfalls eine verschärfte Bedrohung, sondern eher eine Chance. Papadimos gilt jedenfalls als ein „kompetenterer“ Regierungschef im Vergleich sowohl mit Papandreou als auch mit ND-Führer Samaras, denen eine klare Mehrheit der Griechen seit mindestens einem Jahr die Eignung zum Amt des Regierungschefs abspricht.

Der Ruf nach Papadimos ging von der griechischen Öffentlichkeit aus

Natürlich kann sich diese Mehrheit irren. Und die leisen Hoffnungen, die sich auf Papadimos richten, könnten schon bald enttäuscht werden. Was ich erklären will, ist nur folgendes: „Der „Ruf“ nach Papadimos ging nicht von der Troika aus (oder gar von Frankfurt und Berlin), sondern von der griechischen Öffentlichkeit, und zwar aus Frustration über die Regierung Papandreou. Und das in einer Situation, als die Griechen Ende Oktober nach der ersten „Erleichterung“ über den Umschuldungs-Beschluss von Brüssel mit Schrecken realisierten, dass auf einmal in ganz Europa über die mögliche (oder nötige) Rückkehr ihres Landes zur Drachme diskutiert wurde. Dies aber war auch eine Folge des plötzlichen Einfalls von Papandreou, die Zustimmung der griechischen Wähler zu dem „Erfolg von Brüssel“ mittels eines Plebiszits zu dokumentieren. (dazu unter Punkt 2 mehr).

Wie steht die griechische Linke zu Papadimos? Für die altkommunistische KKE ist der Fall einfach: Da sie die EU ohnehin für Teufelszeug hält, ist ein ehemaliger EZB-Vize der Büttel aus Frankfurt, der im Auftrag der Banken und anderer Plutokraten agiert. Aber selbst für die KKE lohnt es sich nicht, Papadimos zu dämonisieren, da er ja nur die alte Sparpolitik weiterführt. Und den Vergleich mit der Junta kann sich in Griechenland niemand leisten, weil er schlicht als grotesk empfunden würde.

Das Linksbündnis Syriza sieht in Papadimos den „willfährigen Technokraten“, der aber nur die Politik der „willfährigen“ Regierung Papandreou fortführt. Die Kritik konzentriert sie jedoch eher auf die Regierungsbeteiligung der rechtsradikalen Laos. Die Führung der Syriza um Alexis Tsipras steht allerdings vor dem Problem, dass die allermeisten ihrer Anhänger die Rückkehr zur Drachme „um jeden Preis“ verhindern wollen (so die Formulierung in der GPO-Umfrage, deren Ergebnisse am 6. Dezember veröffentlicht wurden). Diese Angst vor der Drachme dürfte erklären, warum 45 Prozent der potentiellen Syriza-Wähler eine positive Meinung über Papadimos haben, und warum 42 Prozent kritisieren, dass sich die Linke nicht selbst an seiner Regierung beteiligt, was womöglich die Beteiligung der Laos verhindert hätte. Der Technokrat Papadimos wird also auch von vielen linken Wählern zwar nicht unbedingt als Hoffnungsträger, aber zumindest als Hoffnungsschimmer gesehen.

Die Zustimmung zu Papadimos wäre bei der Linken (das Wählerpotential der linken Parteien – KKE, Syriza und „Demokratische Linke“ – liegt nach den neuesten Umfragen bei etwa 25 Prozent) noch deutlich höher, wenn deren Image nicht durch die Beteiligung der Laos (wörtlich: Orthodoxer Volksalarm) belastet wäre. Die Führer und parlamentarischen Repräsentanten dieser extremistischen, rechtspopulistischen (und übrigens globalisierungsfeindlichen und EU-skeptischen) Partei haben sich in der Vergangenheit mit ihren krass fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Sprüchen noch deutlich rechts von Le Pen positioniert. Berüchtigt ist die Aussage, die der unbestrittene Parteiführer Giorgos Karatzaferis im Jahr 2000 gemacht hat: Er und seine Leute seien die einzigen echten Griechen, weil es unter ihnen „keine Kommunisten, keine Schwulen und keine Juden“ gebe. Seit Beginn der ökonomischen Krise hat Karatzaferis allerdings „Kreide gefressen“ und mit „patriotischen“ Argumenten eine breite Front zur Bewältigung der Krise gefordert. Das hat ihm den Ruf eines „politischen Chamäleons“ (Ta Nea) eingebracht. Nach Einschätzung griechischer Wahlforscher hat die Laos mit ihrem Kurswechsel – angesichts des rechtsradikalen Potentials in Griechenland – durchaus „Stimmen verschenkt“ (nach jüngsten Umfragen käme sie bei Wahlen nur auf 7 Prozent. Ein genaues Portät der Laos ist in der englischen Ausgabe von Kathimerini nachzulesen).

Die Koalition mit der rechtspopulistischen Laos ist ein Schandfleck

Eine andere Frage ist, warum die Pasok und die ND die von Staatspräsident Karolos Papoulias eingefädelte Dreier-Koalition mit der Laos nicht abgelehnt haben. Und warum Papadimos nicht gewagt hat, den Ausschluss der Laos als Bedingung für seine eigene Beteiligung an der Regierung zu fordern. Zwar hat die Laos ihre ursprüngliche Forderung, eine Revision des Einbürgerungsgesetzes einzufordern, seit ihrem Regierungseintritt nicht mehr erhoben. Doch die Aufwertung der Laos, die im Europäischen Parlament der Rechtsaußen-Fraktion „Europa der Freiheit und der Demokratie“ angehört (zusammen mit anderen europa-skeptischen Parteien wie der Lega Nord und den „Wahren Finnen“), bleibt ein Schandfleck für die neue Regierung – an dem sich in den europäischen Hauptstädten offenbar niemand stört.

Neben der Kontaminierung durch die Laos gibt es ein zweites Merkmal, das die Akzeptanz der Regierung Papadimos beeinträchtigt: Sie erinnert die meisten Griechen noch viel zu stark an die abgelöste Regierung. Die meisten alten Minister blieben im Amt, das Kabinett wurde lediglich durch einige Repräsentanten der ND und der Laos ergänzt. Das hat die peinliche Folge, dass diese nationale „Regierung des Sparens“ mit 49 Ministern und Vize-Ministern personell noch aufgeblähter ist als die Regierung Papandreou, was die Ressentiments gegen die „Systemparteien“ weiter nährt. Diese Ressentiments hatte Papandreou nur noch stärker entfacht, als er statt Papadimos zunächst den extrem farblosen und „willfährigen“ Pasok-Politiker Philippos Petsalnikos als seinen Nachfolger vorgeschlagen hatte. Die Empörung in der Pasok-Fraktion wie in der breiten Öffentlichkeit über diesen „blamablen“ Kandidaten war so groß, dass die „Lösung Papadimos“ vollends wie eine Erlösung empfunden wurde.

Die Zustimmung für Papadimos resultiert aus der Ablehnung des griechischen Klientelsystems

Man kann also getrost annehmen, dass die Regierung Papadimos noch mehr Rückhalt in der Bevölkerung hätte, wenn sie noch „technokratischer“ wäre. Der Wunsch nach einer überparteilichen Regierung drückt dabei nicht so sehr autoritäre Neigungen und illusionäre Heilserwartungen aus, als den Überdruss an dem von den Parteien bisher betriebenen Klientelsystem. Und damit das Gefühl, dass „die neue Regierung der Technokraten für das Land vielleicht besser ist als das Regime der diskreditierten politischen Klasse“, wie es Noelle Burgi in der neuesten Le Monde diplomatique formuliert („Griechische Zustände“, Dezember 2011).

Die Zustimmung zu Papadimos zeigt vor allem, dass man ihn nicht als Repräsentanten des alten klientelistischen Systems sieht, das die meisten Griechen als innergriechische Ursache ihrer Staatskrise identifizieren. Die wachsende Distanz zu ihrer politischen Klasse kommt in Zahlen zum Ausdruck, die mehr als nur eine vorübergehende „Politikverdrossenheit“ anzeigen: Auf die Frage, ob sie sich durch das bestehende politische System repräsentiert fühlen, antworten heute fast 80 Prozent mit Nein. Noch höher ist der Prozentsatz derer, die der Meinung sind, dass das politische System den Bedürfnissen der heutigen Gesellschaft nicht gerecht wird. (Die Frage, wie viele Griechen bedauern, dass ihnen diese Einsicht zu spät gekommen ist, wurde bislang leider in keiner Umfrage gestellt).

Papadimos hat offensichtlich – noch – den Vorteil, dass er diesem System jedenfalls nicht voll zugerechnet wird, zumal er offensichtlich keinerlei Karriereinteressen verfolgt. Sollte er auch noch in der Lage sein, die Aufgaben zu bewältigen, die jetzt vordringlich ansteht – vor allem das Land vor der Verweisung aus der Eurozone zu bewahren – könnte er zum populärsten griechischen Regierungschef seit langem werden. Und auch länger regieren, als bislang vorgesehen.

Der Termin für Neuwahlen steht in den Sternen

Schon heute ist klar, dass der von Samaras und der ND angepeilte Termin für Neuwahlen nicht einzuhalten ist. Die Ablösung der „Übergangsregierung“ Papadimos wird auf keinen Fall am 16. Februar stattfinden. Das hat mehrere Gründe:

  • Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die komplizierten PSI-Verhandlungen schon im Januar 2012 abgeschlossen sind. Das ist nach neuesten Aussagen von Finanzminister Venizelos keineswegs gewiss. Nach Berichten in der Presse (Financial Times vom 12. Dezember, Kathimerini vom 4., 12. und 13. Dezember, Ta Nea vom 13. und 14. Dezember) liegen die Vorstellungen der griechischen Seite und der internationalen Banken noch weit auseinander. Zum Beispiel bei den Zinssätzen, die sich die Banken für die neuen langfristigen Bonds vorstellen, die sie im Rahmen der „freiwilligen“ Umschuldung für die alten, abgewerteten griechischen Papiere eintauschen sollen. Die Bankengruppe ist mit der irrwitzigen Forderung von 8 Prozent Verzinsung in die Verhandlungen gegangen, soll aber inzwischen mit 6 Prozent zufrieden sein. Für die griechische Seite wäre das eine immer noch zu hohe Zinsbelastung, die den realen Gegenwert des verabredeten „haircut“ erheblich mindern würde. Unklar ist auch, welchen Status die neuen Bonds haben werden. Die internationalen Banken sind zu dem ganzen „debt swap“ offenbar nur bereit, wenn sie durch Garantien des EFSF abgesichert sind.
  • Es könnte sich herausstellen, dass ein „haircut“, der nur die griechischen Schulden des privaten Sektors (Banken, Versicherungen, individuellen Bonds-Besitzern) rasiert, für den geplanten Entlastungseffekt nicht ausreicht. Dann müssten Verhandlungen auch über die Bewertung der bei der EZB angelagerten Griechenbonds beginnen, wovon heute schon viele Beobachter ausgehen.
  • Frühestens Ende Januar 2012 werden die endgültigen Zahlen des griechischen Schuldenabbaus für das Jahr 2011 vorliegen, die eine weitere Revision des ganzen Programms nötig machen werden – sprich ein noch härteres Sparkonzept. Schon heute geht man in Athen davon aus, dass die Verschuldung des Jahres 2011 nicht auf 8,5 Prozent des BIP reduziert werden kann (wie im Oktober angenommen, siehe dazu NachdenkSeiten vom 25. Oktober 2011), sondern mindestens einen Prozentpunkt höher liegen wird, eher sogar bei 10 Prozent des BIP. Und auch das BIP fällt noch schlechter aus als erwartet: Das Minuswachstum für 2011 wird deutlicher höher liegen als die zuletzt projektierten 5,5 Prozent, (Experten befürchten eher 6,5 Prozent). Für 2012 rechnet die OECD mit immer noch minus 3 Prozent. Das wäre dann das fünfte Jahr einer Rezession, die durch einen Einbruch der gesamteuropäischen Konjunktur noch verschärft werden könnte.

Neuwahlen sind für die Mehrheit der Wähler nicht attraktiv

Wann immer die nächsten Wahlen stattfinden: Das Resultat ist absehbar und für die Mehrheit der Wähler nicht attraktiv. Selbst bei sinkender Wahlbeteiligung und einem Stimmenanteil der linken Parteien von insgesamt 30 Prozent würde das griechische Wahlrecht für ein Parlament sorgen, in dem die ND als vermutlich stärkste Partei keine Alleinregierung bilden könnte. Am wahrscheinlichsten wäre eine (irgendwie tolerierte) Minderheitenregierung oder eine neue „große Koalition“ unter Führung von Samaras, in der womöglich der neue Pasok-Parteiführer Venizelos weiter den Finanzminister geben würde. Aber dann nicht mehr unter dem „Chefökonomen“ Papadimas, sondern unter dem ökonomischen Laiendarsteller Samaras. Eine echte „Wahlalternative“ sieht anders aus.

An schnellen Wahlen interessiert sind vor allem die linken Parteien, die mit einem kräftigen Aufschwung rechnen können. Aber auch sie wissen, dass sie nach den Wahlen nicht die Regierung stellen werden und im Grunde können sie es auch gar nicht wollen. Umgekehrt wissen die meisten Wähler, dass die linken Parteien nicht einmal untereinander koalitionsfähig wären und kein Konzept für den Ausweg aus der griechischen Misere aus dem Hut zaubern könnten. Vor allem aber ist den meisten bewusst, dass über das Schicksal des Landes auf einer Ebene entschieden wird, die dem Einfluss der griechischen Wähler entzogen ist.

Es ist dieses Gefühl der Ohnmacht angesichts unkalkulierbarer Entwicklungen, das die griechische Gesellschaft am Ende des dritten Krisenjahres dominiert und – trotz aller Demonstrationen und Streiks einzelner Berufsgruppen – in eine Art Schockstarre versetzt hat. Diese Befindlichkeit erklärt auch die Haltung der griechischen Bürger zu Papandreous Idee eines Plebiszits, das im Ausland sehr viel intensiver und aufgeregter diskutiert wurde als im Land der Betroffenen.

Hinweis:

In einem nächsten Beitrag will ich der Frage nachgehen, ob die „Beseitigung“ der Regierung Papandreou – wie vielfach behauptet wird – durch Intervention von außen, als Reaktion auf das „demokratische“ Projekt das griechische Volk über die Sparprogramme der Regierung und der Troika abstimmen zu lassen, erfolgt ist. Danach will ich noch der vor allem in Frankreich verbreiteten Befürchtung nachgehen, ob in Griechenland die Gefahr eins „Militärputsches“ nach dem Vorbild der Obristen-Diktatur (1967-1974) besteht.

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