Die Kanzlerin bei Günther Jauch – Regierungs-PR und Pseudojournalismus auf Kosten der Gebührenzahler
Als der CNN-Mann Peter Arnett im Jahre 1997 als erster westlicher Journalist den Terrorfürsten Osama Bin Laden interviewen durfte, musste er zuvor seine Fragen schriftlich vorlegen. Um unangenehme Nachfragen zu verhindern, sorgte bin Ladens PR-Abteilung dafür, dass während des gesamten Interviews kein Dolmetscher vor Ort war. So kam es, dass Arnett das Interview seines Lebens führte, ohne zu verstehen, was sein Gegenüber sagte und ohne dass er in der Lage gewesen wäre, an interessanten Punkten nachzuhaken. Da hatte es Günther Jauch an diesem Sonntag mit Angela Merkel schon bedeutend einfacher, immerhin sprechen sie beide die gleiche Sprache. Dennoch machte Jauch von seinem Recht, Nachfragen zu stellen und an interessanten und kontroversen Punkten nachzuhaken, keinen Gebrauch. Jauch fühlte sich offensichtlich wie Arnett gebauchpinselt, dass er ein 60-minütiges Exklusivinterview mit einer Person führen durfte, die ansonsten keine Exklusivinterviews gibt. So verkam die Sendung zu einer faden PR-Veranstaltung für die Bundeskanzlerin und markierte dabei einen neuen Tiefpunkt im öffentlich-rechtlichen Reigen der journalistischen Minderleistungen. Von Jens Berger
Diese Politfiguren dürfen dann in den öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten bei den Klofrauen Christiansen und Illner ihre Sprechblasen entleeren. Und wenn bei der intellektuellen Notdurft noch was nachtröpfelt, dann können sie sich bei Beckmann und Kerner an der emotionalen Pissrinne unter das Volk mischen.
Georg Schramm
PR beim Grüßaugust
Wenn sich die Kanzlerin dazu entschließt, eine Talk-Show durch ihre exklusive Anwesenheit zu adeln, verbindet sie dies stets mit einem ganz konkreten Ziel. Ihre beiden letzten Exklusivauftritte bei Anne Will und Maybrit Illner liegen nun bereits zwei Jahre zurück und waren fester Bestandteil in Merkels PR-Offensive im Superwahljahr 2009. Dass Will und Illner nicht über höfliche Belanglosigkeiten und artig vorgelesene Steilvorlagen für die Wahlkämpferin hinauskamen, konnte damals wie heute Kenner der Materie nicht wirklich überraschen. Die großen Abendtalkshows der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zeichnen sich seit jeher durch ihre bedingungslose Kritiklosigkeit an den Mächtigen aus und ihre kärtchenhaltenden Impresarios gefallen sich offenbar gut in der Rolle des netten Grüßaugusts.
Die Zeiten eines Günther Gaus sind wohl ein für alle male vorbei. Die öffentlich-rechtlichen Chefplaner trauen es ihren Zuschauern wohl ganz einfach nicht mehr zu, um die Ecke zu denken. Als bekannt wurde, dass Günther Jauch künftig den Premium-Sendeplatz hinter dem Tatort mit seinem eigenen „Polit-Talk“ ausfüllen darf, war bereits klar, dass er es binnen kürzester Zeit schaffen würde, der angeschlagenen Branche den intellektuellen Fangschuss zu geben. Günther Jauch ist zweifelsohne sehr beliebt – er ist Umfragen zufolge der glaubwürdigste Werbeträger und er versteht es ebenfalls, mit Belanglosigkeiten traumhafte Einschaltquoten zu erzielen. Als ernsthafter Journalist ist Günther Jauch bis dato jedoch noch nicht auffällig geworden. Aber vielleicht qualifiziert ihn ja gerade das für die Prime Time in der gebührenfinanzierten ARD. Schließlich ist diese Form von Pseudojournalismus ein optimales Umfeld für Meinungsmache jeglicher Couleur.
Verteilte Rollen in der Interview-Simulation
Da mag es kaum verwundern, dass sogar Jauchs Exklusivinterview mit der Kanzlerin zu einer Plattform der Meinungsmache wurde. So kamen beispielswiese in den Einspielfilmchen zur Eurokrise ausschließlich aktenkundige Hardliner wie Hans-Werner Sinn und Jens Weidmann zu Wort – gerade so als seien sie das Gesicht zur Kritik an Merkels Kurs während der Eurokrise. So kam es, dass während der gesamten 60 Minuten Sendezeit nicht eine einzige ökonomisch sinnvolle Frage gestellt wurde – auch das ist sicherlich rekordverdächtig. Die gesamte Sendung verfolgte vielmehr ein Konzept, das vage Erinnerungen an das „Guter-Bulle-Böser-Bulle-Spiel“ aus Kriminalfilmen weckt. Günther Jauch übernahm dabei dankbar die Rolle von Euroskeptikern wie Hans-Werner Sinn und konfrontierte die Kanzlerin mit halbgaren Dummheiten, die diese dann nonchalant und staatsmännisch wegwischen konnte. Wie ein Schulbube freute sich Jauch, wenn er seiner Kanzlerin eine Steilvorlage nach der anderen geben konnte. Über die Rolle eines Stichwortgebers kam er dabei freilich nie hinaus.
So konnte Angela Merkel ungestraft ihr volkswirtschaftliches Halbwissen zum Besten geben und ihre Mähr von der Schwäbischen Hausfrau in die Köpfe des applaudierenden Publikums trichtern. Wer hat Schuld an der Eurokrise? Na klar, die „langjährige Verschuldung“, denn „wir haben ja über unsere Verhältnisse gelebt“. Das Publikum goutierte solche Dummheiten mit tobendem Applaus und Grüßaugust Jauch kam im Traum nicht auf Idee, an dieser Stelle einmal nachzuhaken und zu fragen, wie denn eine Volkswirtschaft, die Jahr für Jahr aufgrund der niedrigen Lohnstückkosten neue Exportrekorde aufstellt, überhaupt über ihre Verhältnisse leben kann. Auch als die Kanzlerin sich – ohne Not – in die komplett wahrheitswidrige Aussage versteifte, dass „die Deutschen seit den 60ern mehr ausgeben, als sie einnehmen“, schaute Jauch seine Interviewpartnerin nur mit großen Augen an und sparte sich jedes kritische Nachhaken. Dabei hätte man an dieser Stelle die Kanzlerin ohne großen Aufwand und ohne große journalistische Finesse der Lüge überführen können. Wer jedoch von vornherein gar nicht vorhat, kritische Fragen zu stellen, muss natürlich auch an dieser Stelle schweigen.
Tosender Applaus für grandiose Dummheiten
Wes´ Geistes Kind Günther Jauch ist, bewies er dann, als er Merkels parteiinterne Kritiker mit den wenigen SPD-Politikern verglich, die Widerstand gegen Schröders Agendapolitik anmeldeten – die (O-Ton Günther Jauch) ja a) richtig und b) notwendig war. Für solche Aussagen wurde Jauch nicht nur mit dem Lächeln der Kanzlerin, sondern auch mit dem tosenden Applaus des Publikums im Berliner Gasometer belohnt. An dieser Stelle muss auch die Frage gestellt werden, nach welchen Kriterien die ARD das Studiopublikum eigentlich aussucht – ein kritischer Geist gehört sicherlich nicht dazu. (Anmerkung AM: Das Publikum können die Produzenten solcher Sendungen bei Agenturen bestellen.)
Ansonsten glänzte Günther Jauch über die kompletten 60 Minuten Sendezeit durch seine bedingungslose Arbeitsverweigerung. Sogar als er den einzigen lichten Moment in der Sendung hatte und Merkel fragte „wohin denn eigentlich das Geld aus der Griechenlandrettung fließt“, gab er sich mit den nichtssagenden Worthülsen und Ausflüchten zufrieden. Unfreiwillige Komik kam dann später auf, als Angela Merkel sich auch noch damit brüstete, Griechenland nicht sofort geholfen zu haben. Nicht wenige Beobachter sind der festen Überzeugung, dass Merkels damaliges Lavieren der eigentliche Auslöser für die Entwicklungen war, die heute mit dem Begriff Eurokrise umschrieben werden. Anstatt gezielter Nachfragen gab es bei Jauch jedoch nur Applaus vom Publikum und das dumme Schulbubengesicht des Interviewers. Nicht nur an dieser Stelle wäre man als kritischer Zuschauer am liebsten in das Fernsehgerät gesprungen und hätte dem Journalistendarsteller Jauch das Mikrophon aus der Hand gerissen, um seine eigenen Fragen zu stellen.
Interessanter als das, was in den 60 Minuten gefragt und gesagt wurde, war jedoch, was nicht gefragt und gesagt wurde. Während der ganzen Sendung kam die Sprache nie auf Wettbewerbsunterschiede, auf Zinskosten, auf die Gewinne des Finanzsektors oder gar auf Eurobonds. Stattdessen verschanzten sich der Interviewer und die Interviewte hinter belanglosen Allgemeinplätzen, die einzig und allen den Zweck verfolgten, die Kanzlerin gut dastehen zu lassen.
Hätte dieses Interview auf einer Veranstaltung der Deutschen Bank stattgefunden, wäre Kritik wohl fehl am Platz – vom Kunden bezahlte PR-Veranstaltungen, auf denen Journalistendarsteller die Rolle des pseudokritischen Stichwortgebers übernehmen, entziehen sich der strengen Kritik. Wer die Kapelle zahlt, bestimmt, welche Musik gespielt wird.
Für jede Minute(!) von Merkels PR-Veranstaltung in der ARD kassiert Günther Jauch jedoch vom Gebührenzahler stattliche 4.487 Euro. Mit kritischem Journalismus lässt sich freilich nicht so viel Geld verdienen. Abschließend muss jedoch die Frage gestattet sein, warum der Gebührenzahler mit seinem Geld maßlos überteuerte Regierungs-PR im pseudojournalistischen Gewand finanziert? Sendungen wie „Günther Jauch“ passen eigentlich eher in zentralasiatische Despotien. Das Gebot der „Staatsferne“ ist im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkt wohl nur noch ein schaler Witz.