Verursachen Flüchtlinge ein Milliardendefizit bei den gesetzlichen Krankenkassen?
Gestern veröffentlichte die Frankfurter Rundschau eine Exklusivmeldung, die nicht nur in den sozialen Medien für Unruhe sorgte. Nach Hochrechnungen der FR droht den gesetzlichen Krankenkassen bereits ab nächstem Jahr ein Milliardendefizit, das durch Zusatzbeiträge der Versicherten ausgeglichen werden muss. Grund dafür sollen die Krankenkassenkosten für Flüchtlinge sein, die durch die Bundeszuschüsse ins GKV-System nicht einmal annährend gedeckt werden. Die Frankfurter Rundschau spricht hier zwar einen wichtigen Punkt an, der dringend reformiert werden muss – die Zahlen, mit denen sie operiert, erschließen sich dem Betrachter bei näherer Betrachtung jedoch nicht. So bleibt das Fazit: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Von Jens Berger.
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Die Gesundheitskosten für nicht bzw. noch nicht anerkannte Flüchtlinge werden in Deutschland von den Kommunen getragen. Dafür sind die Leistungsansprüche der Flüchtlinge jedoch auch massiv gedeckelt. Erst nach der Anerkennung oder nach 15 Monaten Wartezeit erhalten Asylbewerber den vollen Leistungsanspruch. Interessant sind hier vor allem die Leistungsausgaben für anerkannte Flüchtlinge. Sobald ein Flüchtling anerkannt ist, rutscht er – sofern er keinen Job hat, was anfangs ohnehin die Regel sein dürfte – in den SGB-II-Bereich, er bezieht umgangssprachlich „Hartz IV“. Die Krankenkassenleistungen für Hartz-IV-Empfänger werden über die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) verwaltet, die Mitgliedsbeträge werden dabei über den Bundeszuschuss aus Steuermitteln getragen. Zur Zeit sind dies pauschal rund 90 Euro pro Kopf und Monat.
Die monatliche Lücke zwischen Beitrag und tatsächlichen Kosten für die Krankenversicherung beträgt unterm Strich um die 100 Euro im Monat oder etwa 1200 Euro im Jahr.
Frankfurter Rundschau, Online-Ausgabe vom 17. Februar 2016
Glaubt man der Hochrechnung der Frankfurter Rundschau ist diese Summe jedoch deutlich zu gering, um die zu erwartenden Kosten auszugleichen. Dies wäre in der Tat ein Skandal, der zudem Wasser auf die Mühlen von Pegida, AfD und Co. wäre, da die Fehlbeträge am Ende des Tages nicht von der Allgemeinheit, sondern ausschließlich von den gesetzlich Krankenversicherten getragen werden müssten. Und da Zusatzkosten im GKV-System nicht mehr paritätisch zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgeteilt werden, sondern ausschließlich vom Arbeitnehmer über Zusatzbeiträge bezahlt werden, fallen diese Mehrkosten psychologisch besonders ins Gewicht.
Es ist jedoch sehr fraglich, ob die Berechnung der Frankfurter Rundschau zuverlässig ist. Die offiziellen Zahlen zum demographischen Profil der Asylantragsteller zeigen eine massive Häufung von jungen Männern. Die Gruppe der 18- bis 34-jährigen Männer stellt die mit großem Abstand zahlenstärkste Gruppe unter den Asylbewerbern dar. Genau diese Gruppe ist jedoch im Altersausgabenprofil der Krankenkassen die mit großem Abstand preiswerteste Gruppe. Männer zwischen 18 und 34 kriegen keine Kinder, haben meist gesunde Zähne und noch keinen Krebs oder Zivilisationskrankheiten, die bei den Kassen hohe Kosten verursachen. Die Zahlenkolonnen des Bundesversicherungsamtes ergeben für diese Gruppe jährliche Durchschnittskosten von 831 bis 1.125 Euro, wobei der Schnitt der gesamten Gruppe bei 952 Euro pro Jahr liegt. Das Gros der Flüchtlinge wäre also bei einem Kopfschadensprofil, das dem der Bestandskunden der Versicherer entspricht, mit den aktuellen Bundeszuschüssen (rund 1100 Euro pro Jahr) ausreichend finanziert. Hier erweist sich das Alters- und Geschlechtsprofil, das Pegida und AfD so viel Angst macht, als Vorteil: Ein 16jährige Mädchen kostet die GKV im Schnitt 1.476 Euro, eine 60jährige Frau 2.753 Euro und ein 89jähriger Mann sogar 7.034 Euro pro Jahr. Da die Flüchtlinge aber vorwiegend jung und männlich sind, sind die Kosten für die Krankenkassen auch überschaubar und über den Daumen gepeilt erscheinen die pauschalen Bundeszuschüsse hier durchaus realistisch.
Ganz und gar nicht realistisch sind die Zuschüsse jedoch für die Gruppe, für die sie eigentlich gedacht sind: die ALG-II-Empfänger. Zwar gibt es auch hier eine – wenn auch leichte – statistische Häufung bei den Unter-35-Jährigen; anders als bei den Flüchtlingen, gibt es bei den ALG-II-Empfängern jedoch auch einen sehr großen Anteil von Menschen, die in den demographischen Gruppen sind, die für die Krankenversicherungen richtig teuer werden. Hinzu kommt, dass chronisch kranke Menschen leider sehr oft aus dem regulären Arbeitsmarkt herausfallen und ALG II beziehen. Es ist also höchst paradox: Für die Gruppe, für die diese Bundeszuschüsse eigentlich gedacht sind, sind sie viel zu gering. Für die Flüchtlinge scheinen die Zuschüsse jedoch über den Daumen gepeilt auszureichen. Aber schlussendlich ändert sich dadurch nichts am grundsätzlichen Problem der Bundeszuschüsse: Egal ob ALG-II-Bezieher oder Flüchtlinge – es kann nicht sein, dass Kosten, die eigentlich von der Allgemeinheit getragen werden müssten, von den gesetzlich Versicherten übernommen werden. Denn auf diese Art und Weise entziehen sich sowohl die Besserverdienenden und Beamten, die in der Regel privat versichert sind, als auch der komplette Unternehmenssektor ihrer solidarischen Pflicht. Und das kann und darf nicht sein.